Montag, 17. Februar 2020

"Alles, was du liebst, geht sehr wahrscheinlich verloren, aber am Ende wird die Liebe auf andere Weise zurückkehren." Franz Kafka (angeblich)

Pseudo-Franz-Kafka quote.

Dieser Satz wird Franz Kafka auf Englisch seit kaum 10 Jahren unterschoben, auf Deutsch seit etwa einem Jahr und stammt aus einer erst im 21. Jahrhundert ausgeschmückten Kafka-Anekdote, die ursprünglich Dora Diamant, Kafkas letze Freundin, überliefert hat.

In Dora Diamants Erinnerungen an Franz Kafka kommt dieser Satz noch nicht vor.

Dora Diamont erzählte folgende Geschichte: 

 

  • "Als wir in Berlin waren, ging Kafka oft in den Steglitzer Park. Ich begleitete ihn manchmal. Eines Tages trafen wir ein kleines Mädchen, das weinte und ganz verzweifelt zu sein schien. Wir sprachen mit dem Mädchen. Franz fragte es nach seinem Kummer, und wir erfuhren, daß es seine Puppe verloren hatte. Sofort erfindet er eine plausible Geschichte, um dieses Verschwinden zu erklären: »Deine Puppe macht nur gerade eine Reise, ich weiß es, sie hat mir einen Brief geschickt.« Das kleine Mädchen ist etwas mißtrauisch: »Hast du ihn bei dir?« »Nein, ich habe ihn zu Haus liegen lassen, aber ich werde ihn dir morgen mitbringen.«"

    Dora Diamant, ›Mein Leben mit Franz Kafka‹, abgedruckt in: »Als Kafka mir entgegenkam ...« Erinnerungen an Franz Kafka, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Wagenbach: Berlin 1995,  Seite 174ff. Zitiert nach franzkafka.de (Link)
In den folgenden 3 Wochen habe Franz Kafka dem Mädchen mit großem Ernst täglich aufmunternde, unterhaltsame Briefe geschrieben und sie dann im Steglitzer Park vorgelesen; im letzten Brief habe die verschwundene Puppe von ihrer Verlobungsfeier und ihrem Bräutigam erzählt.

Diese Briefe sind alle seit 1933 verschollen. Seit 1959 wurde vergeblich versucht, das unbekannte Berliner Mädchen und die Briefe zu finden, am gründlichsten vielleicht von dem Kafka-Übersetzer Mark Hamann im Jahr 2001 (Link).

Diese Anekdote hat Jahrzehnte später mehrere Autoren und Autorinnen zu kurzen und längeren Geschichten angeregt.

Im Jahr 1996 zum Beispiel veröffentlichte Guy Davenport eine Kurzgeschichte mit dem Titel "Belinda's World Tour', in der Franz Kafka dem Mädchen Postkarten aus aller Welt sendet. Das Mädchen heisst bei Davenport Lizavetta, die Puppe Belinda, und am Ende heiratet Belinda einen Mann namens Rudolph Hapspurg aus einer königlichen Familie. (Link)

Im Jahr 2008  publizierte Gerd Schneider einen Kafka-Roman für Jugendliche mit dem Titel "Kafkas Puppe". In diesem Roman heisst das Mädchen Lena und die Puppe Mira und sie heiratet keinen Habsburg.

In den sozialen Medien am öftesten zitiert wird eine Version der Geschichte, die vor etwa 10 Jahren entstanden ist und erstmals das angebliche Kafka-Zitat enthält. 

In dieser Version der Anekdote schenkt Franz Kafka dem Mädchen am Ende der Geschichte eine Puppe mit einem Zettel: "Meine Reisen haben mich verändert .." . 

Und Jahre später habe das Mädchen in der Puppe versteckt einen anderen Zettel entdeckt, mit den Worten:
  • "Alles, was du liebst, geht sehr wahrscheinlich verloren, aber am Ende wird die Liebe auf andere Weise zurückkehren."
Diese Version der Anekdote stammt von der buddhistischen Meditationslehrerin und Psychologin Tara Brach.

Tara Brach, nach May Benatar, 2011:

 

  • "When the meetings came to an end Kafka presented her with a doll. She obviously looked different from the original doll. An attached letter explained: “my travels have changed me... “

    Many years later, the now grown girl found a letter stuffed into an unnoticed crevice in the cherished replacement doll. In summary it said: “every thing that you love, you will eventually lose, but in the end, love will return in a different form.
    There are many versions of the story of Kafka and the doll. I heard this one from Tara Brach, psychologist and Buddhist meditation teacher in Washington D.C."

    May Benatar: "Kafka and the Doll: The Pervasiveness of Loss", 3. Oktober 2011 HuffPost, (Link)


Etwas verändert ist Tara Brachs Version der Geschichte inzwischen auf Deutsch (Facebook)  aufgetaucht:

Twitter, 2020:

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Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.





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Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google
Kathi Diamant: "Kafkas Last Love. The Mystery of Dora Diamant" Basic Books, New York: 2002, S. 52f., 138 archive.org [Dora Diamant hat die Treffen von Franz Kafka mit dem Berliner Mädchen im Steglitzer Park Kafka-Biographen und Freundinnen erzählt.]
Dora Diamant, ›Mein Leben mit Franz Kafka‹, abgedruckt in: »Als Kafka mir entgegenkam ...« Erinnerungen an Franz Kafka, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Wagenbach: Berlin 1995,  Seite 174ff. Zitiert nach franzkafka.de (Link)
archive.org 
franzkafka.de (Link)  
Paul Auster:  "The Brooklyn Follies" faber and faber (Link)
Kathrin Helmreich: Die Puppenbriefe Franz Kafkas, 16. Januar 2020  mimikama.at
nytimes.com/timesmachine/1993/11/15/030093.html?pageNumber=49
Gerd Schneider: "Kafkas Puppe" Arena Verlag, Würzburg: (2008) 2018 books.google.
 Max Brod (Link)
May Benatar: "Kafka and the Doll: The Pervasiveness of Loss", 3. Oktober 2011 HuffPost, (Link) Mark Harman: Missing Persons: Two Little Riddles about Kafka and Berlin (Link) (Mit Hinweis auf leicht verschiedenen Versionen der Anekdote Diamants.)
Guy Davenport: "Belinda's World Tour", in Guy Davenport: A Table of Green Field: Ten Stories, New Directions, New York:1993, S. 15-21 (Link)
Facebook, 14. Januar 2020 
Facebook




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Dank:

Ich danke Eduard Habsburg für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat.