Mittwoch, 3. Oktober 2018

"Wir sind alle Ausländer — fast überall!" Unbekannt


Dieser von einer unbekannten Person geprägte Slogan ist in den 1980er Jahren in Deutschland als Antwort auf rechte "Ausländer raus!"-Parolen entstanden.
Klaus Staeck, Plakat 1986, Galerie für Moderne Kunst und Plakatkunst.

Der Spruch "Wir sind alle Ausländer ..." wurde vor dem Aufkommen des Internets auf Hauswänden, Plakaten, Stickers, Transparenten und schon 1992 kommerziell auch auf T-Shirts verbreitet. 1988 erschien das erste Buch mit diesem Graffiti-Spruch als Titel.

Um 2007 beklagt man sich, dass dieser Spruch Goethe, Tucholsky und anderen berühmten Schriftstellern unterschoben wird.

Doch im Jahr 2018 sind diese falschen Zuschreibungen fast gänzlich wieder aus der digitalen Öffentlichkeit verschwunden.

Viele Kuckuckszitate halten sich über Jahrzehnte; diese Kuckuckszitate hatten interessanter Weise anscheinend nur eine kurze Lebenszeit.

Nur noch sehr vereinzelt findet man falsche Zuschreibungen an Bertolt Brecht oder Karl Valentin.

Varianten



Friedhelm Greis hat in seinem  Tucholsky-Sudelblog auf einen ähnlichen Gedanken bei Kurt Tucholksy hingewiesen:


Kurt Tucholsky: "Nationales"

  • "Man ist in Europa ein Mal Staatsbürger und zweiundzwanzig Mal Ausländer. Wer weise ist: dreiundzwanzig Mal."
    Peter Panter, "Die Weltbühne", 25. November 1924 (Link)

Ralf Bülow verdanke ich den Hinweis auf Karl Valentins wunderbares Dramolett "Die Fremden", in dem Valentin das Thema "Wir sind alle Ausländer" im Jahr 1940 mit seinem unvergleichlichen Wortwitz umkreist:

Karl Valentin: "Die Fremden"

  • "Valentin: Nein! – Ein Fremder bleibt nicht immer ein Fremder.
    Professor:
    Wieso?
    Valentin:
    Fremd ist der Fremde nur in der Fremde."
    Karl Valentin, 1940 (Link)
    
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Quellen:
1988: Manfred Budzinski (Hg.) "Alle Menschen sind Ausländer. Fast überall." Ein Aktionshandbuch Mit Beiträgen von Peter Bick, Manfred Budzinski etc., Lamuv-Verlag, Göttingen: 1988
Kurt Tucholksy (Peter Panter): "Nationales", Die Weltbühne, XX. Jahrgang, 25. November 1924, Nr. 48, S. 804 (Link)
Karl Valentin: "Sämtliche Werke". Band 4, Piper Verlag, München 1994; hier zitiert nach dem Nachdruck in der TAZ, 9. April 2015, S. 5 (Link) 
Friedhelm Greis: "Wir sind alle Zitatgeber", 2007, Sudelblog, (Link);  Angebliche Tucholsky-Zitate
geschichtsforum.de/

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Karl Valentin: "Handbuch der Ausländer- und Zuwanderungspolitik: von Afghanistan bis Zypern" Hrsg. von von Wolfgang Gieler, LIT Verlag, Münster Hamburg London: 2003, S. 17 books.google
Bertolt Brecht: meinbezirk.at/tag/aai-wien

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Dank:
Ich danke Ralf Bülow sehr für den wichtigen Hinweis auf Karl Valentin.