Pseudo-Theodor-W.-Adorno-Zitat. |
Dieses durch PETA-Kampagnen für Tierrechte inzwischen in vielen Sprachen weltweit verbreitete Zitat wurde anscheinend erstmals 1992 von der damals noch grünen Abgeordneten Vera Lengsfeld im Deutschen Bundestag dem Philosophen Theodor W. Adorno unterschoben:
Vera Wollenberger / Lengsfeld (Bündnis 90/GRÜNE), Deutscher Bundestag, 8. Mai 1992; Pseudo-Adorno-Zitat. |
Man sucht seit mehr als 15 Jahren vergeblich nach einer seriösen Quelle für das Zitat, und Kennerinnen und Kenner der Schriften Adornos haben es weder in seinen Werken noch in seinen Briefen oder Interviews gefunden (Link).
Das Zitat ist also ein Falschzitat, aber es ist doch nicht völlig "frei erfunden" , da es als verkürzende Paraphrase
einiger Gedanken Theodor W. Adornos zum Verhältnis von Tier und Mensch verstanden werden
kann.
Adorno analysiert in seiner "Minima Moralia" unter dem Titel "Menschen sehen dich an" die Verwendung der
Floskel, "es ist ja bloß ein Tier", mit der die Schmerzen von Tieren
bagatellisiert und Tiere unter die gefühllosen Sachen eingereiht werden.
Diese Floskel wurde im Falschzitat mit dem berühmten Grundsatz der "Erziehung nach Auschwitz" Adornos, "daß Auschwitz
nicht noch einmal sei", in Zusammenhang gebracht.
In den Kommentaren der "Süddeutschen Zeitung" (Link) und des "Spiegel" (Link) zum angeblichen Adorno-Zitat auf den Peta-Plakaten wurde - so wie in anderen Zeitungsberichten - nicht darauf hingewiesen, dass es Theodor W. Adorno nur unterschoben wurde.
Theodor W. Adorno
1951- "Menschen sehen dich an. – Die Entrüstung über begangene
Grausamkeiten wird um so geringer, je unähnlicher die Betroffenen den
normalen Lesern sind, je brunetter, ‹schmutziger›, dagohafter. Das
besagt über die Greuel selbst nicht weniger als über die Betrachter.
Vielleicht ist der gesellschaftliche Schematismus bei der Wahrnehmung
bei den Antisemiten so geartet, daß sie die Juden überhaupt nicht als
Menschen sehen. Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze,
Japaner glichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum
Pogrom.
Über dessen Möglichkeit wird entschieden in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Menschen trifft. Der Trotz, mit dem er dieses Bild von sich schiebt – ‹es ist ja bloß ein Tier› –, wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das ‹Nur ein Tier› immer wieder sich bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten.
In der repressiven Gesellschaft ist der Begriff des Menschen selber eine Parodie der Ebenbildlichkeit. Es liegt im Mechanismus der ‹pathischen Projektion›, daß die Gewalthaber als Menschen nur ihr eigenes Spiegelbild wahrnehmen, anstatt das Menschliche gerade als das Verschiedene zurückzuspiegeln.
Der Mord ist dann der Versuch, den Wahnsinn solcher falschen Wahrnehmung durch größeren Wahnsinn immer wieder in Vernunft zu verstellen: was nicht als Mensch gesehen wurde und doch Mensch ist, wird zum Ding gemacht, damit es durch keine Regung den manischen Blick mehr widerlegen kann."
Theodor W. Adorno: Minima Moralia, 1951, 2004 S. 118 f.
1965
- "Einmal hast Du mir gesagt, ich empfände die Tiere wie Menschen, Du die Menschen wie Tiere. Etwas ist daran."
Theodor W. Adorno: Offener Geburtstagsbrief an Horkheimer, 1965 zeit.de/1965/07/offener-brief-an-max-horkheimer
- "Die Forderung, daß Auschwitz
nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so
sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu
müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis
heute so wenig sich abgegeben hat."
Theodor W. Adorno: "Erziehung nach Auschwitz", 1966, 1993 (Link)
- "Die ethische Würde bei
Kant ist eine Differenzbestimmung. Sie richtet sich gegen die Tiere. Sie
nimmt tendenziell den Menschen von der Schöpfung aus und damit droht
ihre Humanität unablässig in Inhumanität umzuschlagen.
Fürs Mitleid läßt sie keinen Raum. Nichts ist dem Kantianer verhaßter als die Erinnerung an die Tierähnlichkeit des Menschen. Deren Tabuierung ist allemal im Spiel, wenn der Idealist auf den Materialisten schimpft. Die Tiere spielen fürs idealistische System virtuell die gleiche Rolle wie die Juden fürs faschistische."
Theodor W. Adorno: "Ad Beethoven", 1967?, 1993, S. 123-124 (fragment 202)
Varianten des Pseudo-Adorno-Zitats:
- "Auschwitz beginnt, wenn wir sagen: es sind ja nur Tiere."
- "Auschwitz fängt da an, wo einer steht und denkt, es sind ja nur Tiere.
- "Auschwitz beginnt da, wo einer im Schlachthaus steht und denkt, es sind ja nur Tiere."
- "Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und sagt, es sind ja nur Tiere"
- "Auschwitz begins wherever someone looks at a slaughterhouse and thinks: they're only animals."
- "Auschwitz begins whenever someone looks at a slaughterhouse and thinks: They are only animals."
- « Auschwitz commence quand quelqu'un regarde un abattoir et pense : ce ne sont que des animaux. "
- "Auschwitz comienza cuando alguien mira un matadero y piensa: son sólo animales."
- "Auschwitz, bir insan mezbahaya bakıp "ama onlar hayvan" dediği zaman başlar."
Pseudo-Adorno-Zitat. |
Pseudo-Adorno-Zitat. |
Pseudo-Adorno-Zitat. |
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Quellen:
Marcel Sebastian, Julia Gutjahr: "Das Mensch-Tier-Verhältnis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule" in: Gesellschaft und Tiere: Soziologische Analysen zu einem ambivalenten Verhältnis herausgegeben von Birgit Pfau-Effinger, Sonja Buschka, S. 97ff.; S. 104 Anmerkung (Link)
Spiegelredaktion: "Kampagnen - Ein Krieg für Tiere", DER SPIEGEL 12/2004, 15. März 2004 (Link)
Gustav Seibt: "Die Holocaust-Plakate von Peta - Vegetarische Moral", Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2010 (Link)
Frederik van Gelder, Institut für Sozialforschung, J.W.-Goethe-Universität, 10. Juli 2003: " I can say with certainty that there is no such quote in Adorno. Not in the Gesammelte Schriften, not in the Nachlassbaende, not in the 'Adorno-Blaetter'. What you've got here is simply apocryphal." h-net.msu.edu
Wikipedia Talk
Horkheimer: books.google
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Dank:
Ich danke Julia Gutjahr und Marcel Sebastian für ihre profunde Analyse: "Das Mensch-Tier-Verhältnis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule".
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Artikel in Arbeit.
- "Das Vivisektionslabor ist ein Übungsfeld
für die Todeslager. Der Impuls totalitärer Sadisten, ihre künftigen
Opfer als Mitglieder fremder Rassen zu etikettieren, war dadurch
motiviert, daß Rasse als eine natürliche statt soziale Kategorie galt."
Horkheimer an Red N. Healey 22. März 1945