Walter Hallstein (zugeschrieben von Robert Menasse):
- "Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee."
- "Das Ziel des europäischen Einigungsprozesses ist die Überwindung der Nationalstaaten."
- "Ziel ist und bleibt die Überwindung der Nation und die Organisation eines nachnationalen Europa."
Wenn nicht bald ein Nachweis für diese drei Zitate geliefert wird, muss man davon ausgehen, dass sie Hallstein fälschlich zugeschrieben wurden.
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Nachtrag, 2. Januar 2019
Inzwischen haben Robert Menasse und Ulrike Guérot auf Nachfragen des "WELT"-Journalisten Ansgar Graw bestätigt, dass Robert Menasse diese drei Zitate Walter Hallstein unterschoben hat.
Der Historiker Hans-Joachim Lang hat auch herausgefunden, dass die Behauptung Menasses, Walter Hallstein habe eine Antrittsvorlesung in Auschwitz gehalten, nicht der Wahrheit entspricht.
Wahr ist, dass Walter Hallstein nie in Auschwitz gesprochen hat. "Das Historische Archiv der EU in Brüssel teilte Lang nach Rücksprache mit dem Bundesarchiv in Koblenz mit, von einer Rede Hallsteins in Auschwitz gebe es keine Spur", schreibt Patrick Bahners in der FAZ vom 2. Januar 2019 (Link).
Interview mit Robert Menasse, 25. Februar 2018
- Niedermair: Im Roman gibt es einen Beamten der
Europäischen Kommission, der die letzten Überlebenden der Shoa als
Testimonials für die Europäische Idee bei einem Jubiläums-Fest der
Kommission auftreten lassen will. Gab es diesen Gedanken wirklich?
Menasse: Der erste Kommissionspräsident war Walter Hallstein. Er hat seine Antrittsrede in Auschwitz gehalten. Da sagte er: Dieser Ort, das Vernichtungslager Auschwitz, ist zur Chiffre für die radikalste Konsequenz des Nationalismus geworden. Zugleich ist just hier die Idee von nationaler Identität auch vernichtet worden - denn hier war es egal, ob man Deutscher, Pole, Spanier, Österreicher, Russe, Italiener oder was auch immer war, hier lebten alle im Schatten desselben Todes und hier vereinte alle derselbe Traum: ein Leben auf diesem Kontinent in Rechtssicherheit, Friede und Würde. Und deshalb, sagte Hallstein, beginnen wir das Europäische Einigungsprojekt hier an diesem Ort, im Vernichtungslager Auschwitz. Das steckt noch tief in den Eingeweiden der Europäischen Kommission, auch wenn es von den politischen Eliten Europas, den Staats- und Regierungschefs, und von der europäischen Öffentlichkeit eigentlich vergessen wurde.
Peter Niedermair: "Interview mit Robert Menasse - Das Prägende einer Epoche erzählen", 25. Februar 2018, kulturzeitschrift.at/
Robert Menasse beklagt in diesem Interview, dass die Eliten Europas eine Tatsache vergessen haben, die er vor 5 Jahren erfunden hat.
Ähnlich konfus versuchte Menasse am 23. Dezember 2018 in der "Welt" seine erfundenen Zitate zu rechtfertigen:
- "Die Quelle (Römische Rede) ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die
Wahrheit ist belegbar. Die These ist fruchtbar. Was fehlt, ist das
Geringste: das Wortwörtliche." Robert Menasse
(Wahr ist das Gegenteil: Es gibt keine Quelle. Die angegebene Quelle stimmt nicht. Der Sinn ist nach dem Urteil Heinrich A. Winklers entstellt. Die These ist problematisch. Der Wortlaut ist bei Zitaten das Wichtigste.)
- "Seine Form des Zitierens sei 'nicht zulässig – außer man ist Dichter und
eben nicht Wissenschaftler oder Journalist'. Nach den 'Regeln von
strenger, im Grunde aber unfruchtbarer, weil immer auch ideologisch
gefilterter Wissenschaft' seien die Zitate 'nicht ‚existent‘, aber es
ist dennoch korrekt, und wird auch durch andere Aussagen von Hallstein
inhaltlich gestützt. Was kümmert mich das ‚Wörtliche‘, wenn es mir um
den Sinn geht.'"
Robert Menasse zitiert von Ansgar Graw
Ansgar Graw: "Menasses erfundene Zitate. 'Was kümmert mich das Wörtliche'", WELT, 23. Dezember 2018 (Link)
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Nachtrag, 8. Januar 2019
Falsche Zitate werden oft mit dem Argument verteidigt, sie seien ja sinngemäß wahr und die unterschobenen Sätze hätten so gesagt werden können.
- "Aber warum habe ich den Satz in Anführungszeichen gesetzt? Weil es
Hallsteins Gedanke war, weil ich ihn nicht zuletzt ihm verdanke und
nicht als meinen ausgeben wollte. Die Anführungszeichen waren, vom
wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, ein Fehler. Dafür entschuldige
ich mich, das tut mir leid, niemand ist unglücklicher über diesen
Fehler (und den meine Arbeit beschädigenden Wirbel) als ich."
Robert Menasse: "Was heißt da 'Betrug'?" Die Presse, 5. Januar 2019 diepresse.com
- "Hallstein hätte sagen können und müssen, was Menasse ihm in den Mund legt. Hier ist die Wirklichkeit Schuld, nicht die Literatur." Jakob Augstein, 7. Januar 2019 Twitter
In der Debatte um Menasses Falschzitate melden sich auch Leute zu Wort, die meinen, Heinrich August Winkler habe Menasses Roman "Die Hauptstadt" kritisiert, was nicht stimmt. Winkler bezweifelte die Authentizität von Zitaten, die vier Jahre vor dem Roman in politischen Texten erschienen sind.
Nach Gesprächen mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die in den letzten Tagen mehrfach aufgefordert wurde, den Carl-Zuckmayer-Preis an Robert Menasse am 18. Januar 2019 doch nicht zu verleihen, entschuldigte sich Robert Menasse am 7. Januar 2019 für seine falschen Walter-Hallstein-Zitate schließlich mit folgenden Worten:
- "Es war ein Fehler von mir, Walter Hallstein in öffentlichen Äußerungen
und nicht-fiktionalen Texten Zitate zuzuschreiben, die er wörtlich so
nicht gesagt hat. Es war unüberlegt, dass ich im Vertrauen auf
Hörensagen die Antrittsrede von Hallstein in Auschwitz verortet habe.
Diese hat dort nicht stattgefunden. Das hätte ich überprüfen müssen. Ich
habe diese Fehler nicht absichtsvoll und nicht mit dem Ziel der
Täuschung begangen. Ich hielt diese Geschichte für ein starkes
symbolisches Bild des europäischen Einigungsprojekts, das doch
zweifellos mit dem Schwur ‘Nie wieder Auschwitz‘ verbunden ist. In
meinem Roman ist das stimmig, aber die Vermischung von literarischen
Fiktionen mit Äußerungen in europapolitischen Diskussionen bedauere ich
sehr und entschuldige mich bei allen, die sich getäuscht fühlen".
Robert Menasse, zitiert in der Presseerklärung der Landesregierung Rheinland-Pfalz zum Carl-Zuckmayer-Preis 2019: "Vorbehaltlose Anerkennung von Fakten gehört zum Wertefundament unserer liberalen Öffentlichkeit", 7. Januar 2019 rlp.de/aktuelles
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Quellen:
Ulrike Guérot, Robert Menasse: "Manifest für die Begründung einer Europäischen Republik." Die Presse, 23. März 2013 (Link)
Ulrike Guérot, Robert Menasse: "Es lebe die europäische Republik!" Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. März 2013 (Link)
Robert Menasse: "Kritik der Europäischen Vernunft." Rede im Europäischen Parlament anlässlich der Feier „60 Jahre Römische Verträge“, gehalten am 21. März in Brüsssel, Suhrkamp, Frankfurt: 2017 (pdf)