Montag, 25. November 2019

"Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann, ist die, daß man Vertrauen zu ihm habe." Matthias Claudius (angeblich)

Pseudo-Matthias-Claudius-Zitat.
Dieser Satz wird Matthias Claudius seit kaum 10 Jahren und Martin Luther seit etwa 60 Jahren unterschoben.

Die Zuschreibung an den Dichter Matthias Claudius ist völlig unbegründet, da meines Wissens kein Satz von Matthias Claudius so oder so ähnlich in seinen Schriften überliefert ist.

Die Zuschreibung an Martin Luther hingegen ist nicht völlig falsch, sondern kann als Paraphrase einer Stelle aus Luthers Schrift: "Von der Freiheit des Christenmenschen", verstanden werden.


Martin Luther: Von der Freiheit des Christenmenschen, 1520

 

  • "Zum 11.: Weiter ist es mit dem Glauben so, dass wer einem anderen glaubt, der glaubt ihm darum, weil er ihn als einen vertrauenswürdigen, wahrhaftigen Mann achtet, welches die größte Ehre ist, die ein Mensch einem anderen erweisen kann; wie es umgekehrt die größte Schmach ist, wenn er ihn für einen unzuverlässigen, lügenhaften, leichtfertigen Mann achtet."
    Martin Luther: "Von der Freiheit des Christenmenschen", Fassung von 2017  (pdf)
  • "... weiter ists mit dem Glauben also gethan, daß, welcher dem andern glaubt, der glaubt ihm darum, daß er ihn für einen frommen, wahrhaftigen Mann achtet, welches die größte Ehre ist, die ein Mensch dem andern thun kann."

    Martin Luther: "Von der Freiheit des Christenmenschen", Fassung von 1844 (Link)

Der Gedanke Luthers, es sei die größte Ehre, von anderen Menschen als fromm und wahrhaftig geachtet zu werden, wird seit 1965 manchmal etwas verändert wiedergegeben:

  • "Doktor Martin Luther hat einmal gesagt, die größte Ehre, die man einem Menschen antun könne, sei die, daß man Vertrauen zu ihm habe."
    Allgemeine Forstzeitschrift, Band 20, 1965, S. 657 (Link)


Entstelltes Martin-Luther-Zitat.
Artikel in Arbeit.
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Googlebooks Claudius
Martin Luther: Von der Freiheit des Christenmenschen, 1520 (Link); Digitale Edition von freiheit2017.net

Frühe Zuschreibung an Matthias Claudius:
2010 - rkz-forum.de/forum-rkz/forum/, 12. März 2010, 10:13

Frühe Zuschreibung an Martin Luther:
1965 -  Allgemeine Forstzeitschrift, Band 20, 1965, S. 657 (Link)



"Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen." Immanuel Kant (angeblich)

Der Satz: "Der Himmel hat den Menschen als Gegengewicht zu den vielen Mühseligkeiten des Lebens drei Dinge gegeben: Die Hoffnung, den Schlaf und das Lachen",  ist eine verkürzte, aber nicht sinnentstellende Wiedergabe eines Gedankens aus Immanuel Kants "Kritik der Urteilskraft":

Immanuel Kant, 1790:


  • "Voltaire sagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die vielen Mühseligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können; wenn die Mittel es bei Vernünftigen zu erregen nur so leicht bei der Hand wären, und der Witz oder die Originalität der Laune, die dazu erforderlich sind, nicht ebenso selten wären, als häufig das Talent ist, kopfbrechend, wie mystische Grübler, halsbrechend, wie Genies, oder herzbrechend, wie empfindsame Romanschreiber (auch wohl dergleichen Moralisten), zu dichten."

    Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, § 54 Anmerkung, S. 203 (Link);  /Link)

Voltaire hat den großen Wert von Schlaf und Hoffnung für die geplagte Menschheit in seinem Epos über Heinrich IV. (Le Henriade) gefeiert:

Voltaire, Le Henriade, 1728

  • "Gott, dessen Macht und Huld uns aus dem Nichts gerissen, 
    Hat, um die Pilgrimschaft des Lebens zu versüssen,
    Dis Rund mit Zweyerley zur Linderung begabt,
    Des glücklicher Besitz den Mensch beständig labt,
    Als Stütze bey der Müh, als Schatz, im Mangel offen;
    Dis ist der süsse Schlaf, das andre ist das Hoffen."

    Voltaire: "Heldengesang auf Heinrich dem Vierdten, König in Frankreich", übersetzt von Friedrich Heinrich von Schönberg, 1751, S. 108f.; französisch, S. 95: (Link)

Schon ein paar Jahre nach der Erstveröffentlichung der "Kritik der Urteilskraft" wurde der Gedanke Kants ohne Hinweis auf dessen Ursprung bei Voltaire zitiert:

  • "Hoffnung, Schlaf und Lachen sind, wie Kant sagt, die drei specifischsten Mittel, uns die Uebel der Welt vergessen zu machen, und die Wiener, ohne Kant zu kennen, wenden diese Mittel an."

    Carl L. Fernow, 1794 (Link)

Verkürztes Immanuel-Kant-Zitat.


Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google
Immanuel Kant: "Kritik der Urteilskraft." Mit Einleitung und Bibliographie herausgegeben von Heiner F. Klemme und Anmerkungen von Piero Giordanetti. Felix Meiner Verlag, Hamburg: 2009, S. 458 (Anmerkung zu Voltaire) [Druckfehler: Huls statt Huld]  (Link)
Voltaire: "Le Henriade" (1728, London) Les frères Perisse, Lyon: 1807, S. 95 (Link)
Voltaire: "Heldengesang auf Heinrich dem Vierdten, König in Frankreich". Übersetzt von Friedrich Heinrich von Schönberg auf Zschaiten, Druckts Johann Christoph Krause, Dresden: 1751 S. 108f.
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"Trunkenheit, Hofnung und Schlaf. wodurch Menschen sich selbst gegen die Übel bewafnen"
Notiz von Immanuel Kant, etwa 1770 (Link)

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Dank:
Ich danke Michael Oberst für den Hinweis auf dieses verkürzte Zitat.









Dienstag, 12. November 2019

"Hätten die Salzburger von heute Salzburg erbaut, so wäre bestenfalls Linz daraus geworden." Karl Kraus (angeblich)

In den Schriften von Karl Kraus kommt dieses Witzchen nicht vor.

Erstmals Karl Kraus unterschoben wurde dieses Zitat anscheinend von dem Autor, Filmemacher und Anekdotenerzähler Gregor von Rezzori im Jahr 1978.


Gregor von Rezzori, 1978:

  • "Karl Kraus hatte zum Beispiel Anlaß zu sagen: »Hätten die Salzburger von heute Salzburg erbaut, so wäre bestenfalls Linz daraus geworden«. "

    Gregor von Rezzori: "In gehobenen Kreisen", 1978, S. 195 books.google.

 Seitdem wird dieses Pseudo-Karl-Kraus-Zitat von Journalisten, Politikern und Salzburgfestrednern gelegentlich zitiert.

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Quellen:
Google

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
1978:
 Gregor von Rezzori: "In gehobenen Kreisen" Herbig Verlag, München / Berlin: 1978, S. 195 (Link)
 (früheste falsche Zuschreibung)
1986:
Die ZEIT 1986/36  zeit.de
2012:
"Wenn man trotzdem lacht: Geschichte und Geschichten des österreichischen Humors" von Georg Markus. Amalthea Signum Verlag, Wien: 2012 ebook (ohne Seitenzahlen) (Link)

Sonntag, 10. November 2019

"Lass Dich nicht unterkriegen; sei frech, wild und wunderbar." Astrid Lindgren (angeblich)


Pseudo-Astrid-Lindgren-Zitat.
Dieser seit ein paar Jahren äußerst beliebte Motivationsspruch wurde der im Jahr 2002 verstorbenen schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren erst ein paar Jahre nach ihrem Tod untergeschoben, zuerst in den Sozialen Medien, seit dem Jahr 2009 auch in Zeitungen und Büchern.

Auf Twitter war das Zitat im Jahr 2008 schon ohne Zuschreibung an Astrid Lindgren bekannt, seit dem Jahr 2009 wurde es der Autorin der Pippi-Langstrumpf-Geschichten zugeschrieben:


Twitter:

Twitter Screenshot; 2008 ohne, 2009 mit Zuschreibung an Astrid Lindgren (Twitter).

Die Worte "Sei frech und wild" "Und wunderbar" tauchten 2009 auch - ohne Zuschreibung an eine Autorin - als Graffiti auf Parkbänken in Krefeld auf. Anzeige gegen Unbekannt wurde erstattet:

2009

"Bänke im Schönwasserpark mit Graffiti verunstaltet
Aus den Stadtteilen Oppum. Fassungslos ist Reinhard Wenzel in der vergangenen Woche durch den Schönwasserpark spaziert. Bisher unbekannte Graffiti-Sprayer haben die Parkbänke mit Schriftzügen beschmiert. Zu lesen sind Sätze wie "Sei frech und wild" oder "Und wunderbar". Betroffen sind nach Auskunft von Stadtsprecher Timo Bauermeister insgesamt acht Bänke und ein Papierkorb. "Sie müssen alle abgebaut, abgeschliffen und neu gestrichen werden", erklärt Bauermeister. Der zuständige Fachbereich Grünflächen hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Bänke waren 2002 zur Ausstellung Euroga aufgestellt worden."
Westdeutsche Zeitung, Ausgabe Krefeld, 10. November 2009, Ressort: Lokalsport [ohne Seitenzahl]  (genios,de)

In Astrid Lindgrens Schriften und Interviews wurde dieses Zitat auch auf Schwedisch noch nicht entdeckt (Link).

Petra Wüst hat 2014 ein Ratgeberbuch für Frauen mit dem Titel "Sei frech, wild und wunderbar" veröffentlicht und im Vorwort mitgeteilt, sie habe das angebliche Lindgren-Zitat auf einer Postkarte mit einem Pippi-Langstrumpf-Foto entdeckt.

Das Zitat, mit dem auf Twitter oft für #girlpower oder #womanpower geworben wird, ist also höchstwahrscheinlich ein Kuckuckszitat.

  Twitter:

 

2019
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Die englische Variante des angeblichen Lindgren-Zitats ist ein paar Jahre nach dem Auftauchen der deutschsprachigen Fassung entstanden: "Don't let them get you down. Be cheeky. And wild. And wonderful."
Pseudo-Astrid-Lindgren-Zitat.
Wer das Zitat geprägt hat, ist unbekannt. Entstanden ist es wahrscheinlich als Variante für Mädchen eines beliebten Spruchs, der heute manchmal irrtümlich Arthur Schnitzler unterschoben wird, aber von dem Hamburger Schriftsetzer und Künstler Artur Dieckhoff stammt:

Text von Artur Dieckhoff (Link).
Die Devise "Gefährlich leben!" hat Friedrich Nietzsche seinen Lesern in dem Aphorismenbuch "Die fröhliche Wissenschaft" empfohlen (Link).

 
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Quellen:
Google
Twitter
googlebooks
das-grosse-schwedenforum.de/zitat-aus-pippi-langstrumpf-in-originalsprache-t29353.html

Friedrich Nietzsche: "Die fröhliche Wissenschaft", § 283. Erste Veröffentlichung 10. September 1882. (Link) in: Nietzsche Werke, Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Teil 5, 2. Band, Walter de Gruyter, Berlin: 1973, S. 206
Clemens Walter: "Nur die Mutigen entkommen: die einzig wahre Geschichte von Artur u. Artur; Der Chronik Erster Teil. Kindheit, Aufbruch, Verwandschaft u. Verplichtung", Transit, Berlin: 1991
Gerald Krieghofer: "'Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich, Artur.' Arthur Schnitzler (angeblich)", 2018  (Link).Westdeutsche Zeitung, Ausgabe Krefeld, 10. November 2009, Ressort: Lokalsport [ohne Seitenzahl] (genios,de)
Petra Wüst: "Sei frech, wild und wunderbar: 12 mutige Schritte für Frauen, die mehr wollen." Orell Füssli,  Zürich: 2014 (Link)

Frühe Erwähnungen in Foren und Social Media:
2009, Twitter

2006, auf Deutsch:
18. September 2006(?)  beautyboard.de/showthread.php/142127 [Nur in der E-Mail-Signatur.]
21. August 2010 (de.comm.software.mozilla)

Frühe Erwähnungen in Zeitungen
2009, Tiroler Tageszeitung, 12. Dezember 2009, S. 47 "Lass dich nicht unterbringen (!), sei wild und frech und wunderbar. Astrid Lindgren" (genios.de)
2010 Nürnberger Zeitung, 6. Juli 2010 [ohne Seitenangabe]
2013, auf Englisch:
19. Februar my-beautiful-words.blogspot.com/2013/02/be-cheeky-wild-and-wonderful.html

Erste Erwähnung in digitalisierten Büchern:
2011
books.google

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Dank:
Ich danke Martin Anton Müller für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat und dessen Ähnlichkeit mit dem angeblichen Arthur-Schnitzler-Zitat. 



Artikel in Arbeit.







Montag, 4. November 2019

"Nichts ist schwerer zu ertragen, wie eine Reihe von guten Tagen." Kurt Tucholsky (angeblich)

Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitat.
 

Dieses aus einem Gedicht Goethes entstandende Sprichwort wird manchmal irrtümlich Kurt Tucholsky zugeschrieben. In den digitalisierten Schriften Tucholskys kommt es nicht vor.


Johann Wolfgang Goethe, 1815:

  • "Alles in der Welt läßt sich ertragen,
    Nur nicht eine Reihe von schönen Tagen."
    (Link)
 Schon im 19. Jahrhundert wurde dieses Gedicht Goethes etwas verändert zitiert:
  • "Es ist nichts schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen." 1839 (Link);
  • "Nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen." 1856 (Link); Fontane, 1890 (Link)
  • "Alles in der Welt läßt sich ertragen, Nur nicht eine Reihe von glüklichen Tagen."
 
 Georg Büchmann hat darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Gedanke ähnlich schon in Martin Luthers Tischreden vorkommt:


Martin Luther, Tischreden, 1570:

  • "Gute Tage können wir nicht ertragen, böse können wir nicht leiden! Gibt er uns Reichtum, so sind wir stolz, gibt er Armut, so verzagen wir." books.google.


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Quellen:
Büchmann
Goethe
Martin Luther
Fontane
Universallexikon
(Bibliographische Angaben folgen. )


zitate.eu/autor/kurt-tucholsky-zitate/1280
universal_lexikon.
Artikel in Arbeit.

Sonntag, 3. November 2019

"Hinter jeder starken Frau versteckt sich ein tyrannischer Vater." Sigmund Freud (angeblich)

Pseudo-Sigmund-Freud-Zitat.
Dieses Kuckuckszitat ist noch keine 10 Jahre alt und weder in den digitalisierten Werken Sigmund Freuds noch in seriösen Nachschlagwerken so oder so ähnlich zu finden.

Das von einer unbekannten Person geprägte Zitat ist wohl als Abwandlung des Sprichworts: "Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau" entstanden.

Klassiker-Zitate, die im 21. Jahrhundert in den Sozialen Medien ohne Quellennachweis erstmals auftauchen und in der digitalisierten Fachliteratur nicht nachweisbar sind, sind meistens unterschobene oder entstellte Zitate.

Varianten des Kuckuckszitats:

  • "Hinter jeder starken Frau steht ein tyrannischer Vater."
  • "Hinter jeder starken Frau versteckt sich ein tyrannischer Vater."

 Früheste Erwähnung auf Twitter, 2013:

 




Artikel in Arbeit.

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Quellen:
Google

Samstag, 2. November 2019

"Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Niklas Luhmann

Diese These des Soziologen Niklas Luhmann aus seiner drei Jahre vor seinem Tod erschienenen Studie "Die Realität der Massenmedien" wird meistens ohne deren Relativierung zitiert, mit der Niklas Luhmann diese allgemeine Behauptung noch im selben Absatz einschränkt.

Alles was wir wissen, wissen wir zwar aus den Massenmedien, aber zugleich wissen wir, schreibt Luhman, dass diese Medien keine wirklich vertrauenswürdigen Quellen sind.


Niklas Luhmann, 1995:


  • " Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. Das gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und der Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur. [...]
  • Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, daß wir diesen Quellen nicht trauen können. Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen führt, da das den Massenmedien entnommene Wissen sich wie von selbst zu einem selbstverstärkenden Gefüge zusammenschließt. "
Niklas Luhmann: "Die Realität der Massenmedien." 2., erweiterte Auflage, Westdeutscher Verlag, Opladen: 1996, S.  9  pdf