Freitag, 24. Mai 2019

"Das Problem ist, du denkst du hast Zeit." Buddha (angeblich)

Pseudo-Buddha-Zitat.
Der Satz "The trouble is you think you have time" stammt nicht aus Buddhas 2000 Jahre altem Kanon seiner Schriften, sondern aus einem 1994 erschienen Einführungsbuch in buddhistisches Denken des amerikanischen Buddhisten und Psychologen Jack Kornfield.


Jack Kornfield wurde zu diesem Zitat nicht von Buddha angeregt, sondern - wie er einmal verriet - von dem amerikanischen Autor Carlos Castaneda, der seine geheimnisvolle Figur Don Juan einmal sagen lässt:

"There is one simple thing wrong with you – you think you have plenty of time … If you don’t think your life is going to last forever, what are you waiting for? Why the hesitation to change? You don’t have time for this display, you fool. This, whatever you’re doing now, may be your last act on earth. It may very well be your last battle. There is no power which could guarantee that you are going to live one more minute."
Carlos Castaneda: Journey to Ixtlan, Simon a. Schuster, 1972, S. 108 (Link); Ausgabe 1991, S. 88: (Link) (Vorerst zitiert nach Bodhiparska)

Ich folge hier den Recherchen des amerikanischen Meditationslehrers Bodhipaksa, der auf seiner Webseite fakebuddhaquotes.com über 200 falsche Buddha-Zitate gesammelt und ihre Entstehung dokumentiert hat.



Pseudo-Buddha-Zitat auf Twitter.







Buddha's Little Instruction Book", Bantam, New York: 1994, S. 38 (Link)  ("Buddha's Little Instruction Book" ist die Quelle vieler falscher Buddha-Zitate.)
Carlos Castaneda: Journey to Ixtlan, Simon a. Schuster, 1972, S. 108 (Link); Ausgabe 1991, S. 88: (Link)
Bodhipaksa: "The trouble is, you think you have time.", 2012 (Link)
Bodhipaksa: All Fake Buddha Quotes, 2019 (fakebuddhaquotes.com)

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Dank:

"I Can't Believe It's Not Buddha!: What Fake Buddha Quotes Can Teach Us about Buddhism", 2018?, by Bodhipaksa

Donnerstag, 23. Mai 2019

"Mensch, erkenne dich selbst, dann weißt du alles." Sokrates (angeblich)



Pseudo-Sokrates-Zitat.

Aus keiner antiken Quelle ist überliefert, Sokrates habe gesagt, "Erkenne dich selbst, dann weißt du alles."

Der Imperativ "Erkenne dich selbst" stand über einem Eingang des Apollo-Tempels in Delphi. Sokrates nahm diese Aufforderung sehr ernst, hat sie aber nicht geprägt.

Und kein Philosoph hat jemals versprochen, dass man nach vollendeter Selbsterkenntnis "alles weiß".

Diese Pseudo-Weisheit, die Allwissenheit verspricht, wurde vor nicht einmal 10 Jahren von einer unbekannten Person Sokrates erstmals unterschoben, und weder die Aussage dieses Spruchs noch seine Zuschreibung an den Athener Philosophen kann man ernst nehmen.


  • "SOKRATES:
  • Der Grund davon, mein Freund, ist dieser:  Ich vermag noch nicht gemäß dem delphischen  Spruche mich selbst zu erkennen. Lächerlich aber scheint es mir,  solange  man  dies  nicht  kennt,  das  Fremde  zu  erforschen.  Darum laß ich jenen Dingen  ihren  Lauf  und  nehme  den  Glauben  über  sie  an,  wie  er  dem  Brauche  entspricht,  und  erforsche,  wie  ich eben  sagte,  nicht  jene,  sondern  mich  selbst,  ob  ich  etwa  ein  Untier  bin,  verschlungener  und  aufgeblasener  als Typhoni , oder ein milderes und einfacheres Geschöpf, das ein göttliches und gebändigtes Schicksal von Natur erlost hat. Aber, Freund, indem wir so reden – war das nicht der Baum, zu dem du uns führen wolltest?"

    Platon: "Phaidros oder Vom Schönen", übersetzt von Kurt Hildebrandt (pdf)


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Quellen:
Platon: "Phaidros oder Vom Schönen", übersetzt von Kurt Hildebrandt, Reclam, Stuttgart: 1957 (pdf)
Plato: Phaedrus, in: Plato in Twelve Volumes, Vol. 9 translated by Harold N. Fowler. Cambridge, MA, Harvard University Press; William Heinemann Ltd., London: 1925  [229e] (Link)
Plato, Protagoras, [343a, b]  (Link), (Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Twitter
Google
2011: twitter.com (frühe falsche Zuschreibung) 
2014: meinbezirk.at
zitatezumnachdenken.com/sokrates/1896

Dienstag, 21. Mai 2019

"Kreativität ist Intelligenz, die Spaß hat." Albert Einstein (angeblich)

Dieses Zitat wurde Albert Einstein erst im 21. Jahrhundert unterschoben und ist in den Schriften des Physikers so wenig wie in seriösen Nachschlagwerken zu finden.

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.


Der Satz wurde so ähnlich etwa 30 Jahre nach dem Tod Albert Einsteins geprägt, später mehrfach modifiziert, bis er im Jahr 2001 Einstein erstmals zugeschrieben  wurde.


Pseudo-Albert-Einstein quote.

Die Zitatforscher Barry Popik und Garson O'Toole haben die Geschichte dieses Kuckuckszitats auf ihren empfehlenswerten Webseiten barrypopik.com und quoteinvestigator.com ausführlich dokumentiert.
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Quellen:
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011 (Das Zitat wird in diesem Standardwerk nicht erwähnt.)
Barry Popik: "Creativity is intelligence having fun", 2014  barrypopik.com 
Garson O'Toole: "Creativity Is Intelligence Having Fun: Albert Einstein? George Scialabba? Joey Reiman? John C. Maxwell? Anonymous?", 2017 quoteinvestigator.com

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Google
Twitter
 Leslie Yerkes: "Fun Works: Creating Places where People Love to Work", Berrett-Koehler Publishers, San Francisco: 2001, S. 76 (Link) (Früheste falsche Zuschreibung.)
spruchwelt.com
Augsburger Allgemeine, 3. Mai 2017, Sandra Bauer: "Kreativität ist Intelligenz, die Spaß macht" (Link)
Die Welt, 4. Oktober 2018,

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Dank:
Ich danke Barry Popik und Garson O'Toole für ihre gründlichen Recherchen.

Montag, 20. Mai 2019

"Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen." Friedrich Nietzsche (angeblich)

Pseudo-Friedrich-Nietzsche-Zitat.

Dieser beliebte Motivationsspruch stammt von einer unbekannten Autorin oder einem unbekannten Autor und wird Friedrich Nietzsche erst im 21. Jahrhundert unterschoben. In seriösen Nachschlagwerken ist dieser Spruch nicht zu finden.

Da Friedrich Nietzsches Schriften mehrfach digitalisiert sind und ich mehrere Varianten dieses Satzes gründlich gesucht habe, bin ich mir sicher, dass dieser Spruch niemals in einem Text des Philosophen gefunden werden wird.



Varianten des Kuckuckszitats:


2009

2015


2017



2018:
-

Der Friedrich Nietzsche unterschobene Satz könnte sich aus einem ähnlichen Satz der Meditations-Lehrerin Rosemarie Schneider aus dem Jahr 1987 entwickelt haben:

1987

  • "Hindernisse sind Stufen zu höheren Ebenen."
    Rosemarie Schneider: "Geistes-gegenwärtig leben", Verlag CSA Rosemarie Schneider, Bad Homburg: 1987, S. 138 (Link)



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Quellen:
Google
Friedrich Nietzsche: Digitale Kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe, basierend auf der Ausgabe von G. Colli und M. Montinari, de Gruyter, Berlin/New York: 1967ff. (nietzschesource.org)
Rosemarie Schneider: "Geistes-gegenwärtig leben", Verlag CSA Rosemarie Schneider, Bad Homburg: 1987, S. 138 (Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
 2008: oberberg-stiftung.de (frühe falsche Zuschreibung)
Hartmut Werner: "Supply Chain Management: Grundlagen, Strategien, Instrumente und Controlling", 6. Auflage, Springer Gabler, Wiesbaden: 2017, S. 147 (Link)
spruchwelt.com
hebammenpraxis
gutezitate.com/zitat/104832

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Dank:
Ich danke Ralf Bülow für seinen Hinweis auf das Meditations-Buch Rosemarie Schneiders.

Sonntag, 19. Mai 2019

"Ich bin entsetzt! Ich hätte nie gedacht, dass Strache jemand ist, der seine rechtsextremen, korrupten und verfassungsfeindlichen Züge so offen zur Schau stellt!" Sebastian Kurz (angeblich)



Auf Twitter wird dieses nach dem Rücktritt des FPÖ-Politkers H.C. Strache entstandende Falsch-Zitat ernst genommen, weil viele Leute nicht wissen, dass es von einem Account stammt, der nur unterhalten will.

 Impressum von "Der Gazetteur":

  • "Alle Inhalte des Gazetteurs sind satirisch und dienen der Unterhaltung. Für die Richtigkeit, Aktualität und Vollständigkeit der Inhalte können wir keine Gewähr übernehmen."
    gazetteur.de/impressum/

Auch ich finde, dass die vor allem im rechten politischen Spektrum verbreitete Methode, Politikerinnen und Politikern falsche Zitate zu unterschieben, eventuell zu Faschingsveranstaltungen passt, aber in den Sozialen Medien nur Verwirrung stiftet.

Ich danke Shirley #18er für ihre Richtigstellungen auf Twitter:

Twitter, 19. Mai 2019:



  








Samstag, 18. Mai 2019

"Mögest du in interessanten Zeiten leben!" Chinesischer Fluch (angeblich)

Das Motto der Biennale 2019: "May You Live In Interesting Times", wird seit 1936 als "Chinesischer Fluch", den man in China seinen Feinden wünsche, bezeichnet, aber noch niemand hat diesen Spruch in einem älteren chinesischen Text gefunden.
Schon viele Zitatforscher sind dem Ursprung dieses Sprichworts nachgegangen. Ich fasse ihre Recherchen  hier kurz zusammen.

Dass "May you live in an interesting times" ein alter chinesischer Fluch sei, den man seinem Feind wünsche, hat erstmals ein unbekannter britischer Diplomat in China behauptet.

Der britische Außenminister Austen Chamberlain, der Halbbruder des britischen Premierministers Arthur Neville Chamberlain, hat diesen Spruch des Diplomaten gehört und weitererzählt:

1936
  • Austen Chamberlain: "It is not so long ago that a member of the Diplomatic Body in London, who had spent some years of his service in China, told me that there was a Chinese curse which took the form of saying, ‘May you live in interesting times.’ There is no doubt that the curse has fallen on us. ...
    We move from one crisis to another. We suffer one disturbance and shock after another."

    The Yorkshire Post, 21. März 1936, zitiert nach Garson O'Toole (Quote Investigator)
Oft wird später der angebliche chinesische Fluch in Zusammenhang mit der Beobachtung Hegels zitiert, wonach langweilige Zeiten für Individuuen die glücklicheren sind:
"Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr."

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke 12, hrsg. v. Moldenhauer und Michel. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1986, S. 42; (Link);  (Link)
Garson O'Toole hat herausgefunden, dass schon Austen Chamberlains Vater von angstmachenden "interessanten Zeiten" geredet hat und der Sohn von seinem Vater eine frühe Vorform des Sprichworts, das er später als Fluch bezeichnet hat, gehört haben könnte:

1898
  • "I think that you will all agree that we are living in most interesting times. (Hear, hear.) I never remember myself a time in which our history was so full, in which day by day brought us new objects of interest, and, let me say also, new objects for anxiety. (Hear, hear.)"
Weltweit bekannt geworden ist der Spruch durch eine Rede Robert F. Kennedys aus dem Jahr 1966:

1966
  • "There is a Chinese curse which says 'May he live in interesting times.' Like it or not, we live in interesting times. They are times of danger and uncertainty; but they are also the most creative of any time in the history of mankind." (Quote Investigator)
    Robert F. Kennedy
Auf Deutsch taucht der Spruch laut Google books im Jahr 1968 erstmals auf:

1968
  • Robert Kennedy selbst sagt am Schluß: "Es gibt einen chinesischen Fluch: 'Möge er in interessanten Zeiten leben!' Ob es uns gefällt oder nicht, wir leben in interessanten Zeiten.
    Westermanns Monatshefte, Oktober 1968, S. 42 (Link)
10 Jahre später hält man in Westermanns Monatsheften den Spruch für einen "jüdischen Fluch":

1978
  • Als jüdischen Fluch zitiert er: 'Du sollst in interessanten Zeiten leben!' Westermanns Monatshefte, 1978, S. 126 (Link)
1991 
  • Leserbrief:
    "Der Artikel beginnt mit einem sinnentstellten Zitat. Bei der Aufforderung 'Mögest du in interessanten Zeiten leben!' handelt es sich nicht um einen chinesischen Glückwunsch, sondern um einen chinesischen Fluch - nachzulesen unter anderem in der Nobelpreisrede von Albert Camus ..."
    Bild der Wissenschaft, 1991, S. 38 (Link)

2001
  • "In China grüßt man einen besonders guten Freund mit dem Wunsch: »Mögst Du in interessanten Zeiten leben!«"
    Jahrbuch 2000 (Link)


Das Motto der Biennale wird also verschieden verwendet: Einmal als bösartiger Wunsch gegen einen  Feind, er möge in Schwierigkeiten kommen, ein anderes Mal als Glückwunsch und Ausdruck der Hoffnung, das langweilige Leben eines Freundes möge farbiger werden.


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Quellen:
"The Yale Book of Quotations". Edited by Fred R. Shapiro. Foreword by Joseph Epstein, Yale University Press, New Haven and London: 2006, S. 699
Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 99f.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke 12, hrsg. v. Moldenhauer und Michel. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1986, S. 42; (Link);  (Link)
Garson O'Toole: "May You Live In Interesting Times. Chinese Curse? Austen Chamberlain? Frederic R. Coudert? Joseph Chamberlain? Diplomatic Staff? Albert Camus? Arthur C. Clarke? Robert F. Kennedy? Hillary Rodham Clinton?", 2015 (Quote Investigator)
de.wikipedia
en.wikipedia

The Yorkshire Post, March 21 1936, Lesson of the Crisis: Sir A. Chamberlain’s Review of Events, Quote Page 11, Column 7, Leeds, West Yorkshire, England.  (Zitiert nach Garson O'Toole)



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Dank:
Ich danke den Rechercheur*innen von Wikipedia und Garson O'Toole für ihre Arbeit.

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  •  
 1949
  • "Many years ago I learned from one of our diplomats in China that one of the principal Chinese curses heaped upon an enemy is, 'May you live in an interesting age.'" Hughe Knatchbull-Hugessen:

Mittwoch, 15. Mai 2019

"Nirgends rauschen die Laubwälder süßer und erquickender als am kahlen Strand, wo keine sind." Arthur Schnitzler (angeblich)

Zitat von Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler unterschoben.
Dieser Aphorismus stammt von dem deutschen Dramatiker Gerhart Hauptmann und wird Arthur Schnitzler in diversen Online-Zitatsammlungen irrtümlich zugeschrieben.


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Quellen:
Gerhart Hauptmann: Ausblicke. S. Fischer, Berlin: 1924, S. 95 (Link); Ausgabe 1922: (Link); Ausgabe 1965: gutenberg.spiegel.de

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
aphorismen.de/zitat/22191
gutezitate.com/zitat/158979
zitateuniversum.de/zitat/arthur-schnitzler/39549/

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Dank:
Ich danke dem Arthur-Schnitzler-Herausgeber Martin Anton Müller für den Hinweis auf dieses Falschzitat.