FALSCHZITATE mit Belegen und Kommentaren. Hunderte falsche Zitate, Memes, Kuckuckszitate, Zitaträtsel, apokryphe, problematische und entstellte Zitate, misquotations, misattributed and fake quotes. (Die Sammlung wird laufend ergänzt.) Von GERALD KRIEGHOFER.
Ich hatte diesen Satz, als ich ihn in einer Zeitung las, kurz in Verdacht, ein Pseudo-Thoreau-Zitat zu sein, aber der Verdacht war falsch.
Henry David Thoreau, 1854
" dann ließ ich wieder alles liegen, vielleicht brachliegen, denn der Mensch ist um so reicher, je mehr Dinge er liegenlassen kann." Henry David Thoreau: "Walden: oder Leben in den Wäldern" (Link)
"I discovered many a site for a house not likely to be soon improved, which some might have thought too far from the village, but to my eyes the village was too far from it. Well, there I might live, I said; and there I did live, for an hour, a summer and a winter life; saw how I could let the years run off, buffet the winter through, and see the spring come in. The future inhabitants of this region, wherever they may place their houses, may be sure that they have been anticipated. An afternoon sufficed to lay out the land into orchard, wood-lot, and pasture, and to decide what fine oaks or pines should be left to stand before the door, and whence each blasted tree could be seen to the best advantage; and then I let it lie, fallow, perchance, for a man is rich in proportion to the number of things which he can afford to let alone. "
Henry David Thoreau: "Walden", "Where I Lived, and What I Lived For" (Link)
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Quellen:
Henry David Thoreau: "Walden: oder Leben in den Wäldern" (Link)
Henry David Thoreau: "Walden; or, Life in the Woods" 2. "Where I Lived, and What I Lived For" (Link)
"Die 'Wirkliche Welt'?: ist, in Wahrheit, nur die Karikatur unsrer Großn Romane!"
aus seiner Novellen-Comödie "Die Schule der Atheisten" wird manchmal entstellt wiedergegeben:
1992
"Es ist ja gar
nicht wahr, daß unser aller Existenz nur ein schwacher Abklatsch großer
Romane sei — wie der Optimist Arno Schmidt einst meinte. Unsere Leben
sind Abklätsche der Medien, in Sonderheit der Boulevardmedien
und der Yellow Press, welche beiden ja bekanntlich Millionenauflagen
erzielen, ohne daß — sonderbar! — zumindest mir gegenüber je ein Mensch
zugegeben hätte, sie zu konsumieren." Klaus Nothnagel: "Warum heißen Medien Medien?" TAZ, 16. März 1992 (Link)
1999
So wird ... "die Realität zu einer lachhaften Kopie unserer großen Romane (Arno Schmidt)." (Link)
2011
".. ich zitierte ... wie so oft bei solch einer Gelegenheit, Arno Schmidt mit dem Satz: 'Das Leben ist ein Abbild unserer großen Romane.' (Link)
2013
„Die Realität ist nur ein Abklatsch unserer großen Romane.“ (Arno Schmidt). (Link)
Arno Schmidt: "Die Schule der Atheisten." 1972, S. 166
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Joseph Roth meinte in seiner Novelle "Triumph der Schönheit" noch, das Leben sei ein elender Abklatsch schlechter Romane, keiner großen.
Joseph Roth, 1934
"Sie glauben gar nicht, welch ein elender Abklatsch schlechter Romane das Leben ist." (Link)
Dass nicht die Kunst das Leben, sondern das Leben die Kunst imitiert, ist ein Gedanke, den das erste Mal Oscar Wilde in seinem Essay "The Decay of Lying" ("Der Verfall des Lügens") im Jahr 1891 ausgesprochen hat (Link):
Ocar Wilde, 1891
"Life imitates Art far more than Art imitates Life."
"das Leben ahmt die Kunst weitaus mehr nach als die Kunst das Leben".
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Quellen:
Arno Schmidt: "Die Schule der Atheisten. Novellen-Comödie in 6 Aufzügen", S. Fischer, Frankfurt am Main: 1972, V. Aufzug, 3. Szene, Kolderup zu Seng Wu, S. 166
Joseph Roth: "Triumph der Schönheit", 1934, in: Joseph Roth: "Stationschef Fallmerayer / Die Büste des Kaisers / Triumph der Schönheit", hrsg. von Karl-Maria Guth, Hofenberg, Berlin: 2016, S. 66 (Link)
Oscar Wilde: "The Decay Of Lying: An Observation", 1891 (Link)
Oscar Wilde: "Der Verfall des Lügens. Eine Feststellung." In: Oscar Wilde: "Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben", übersetzt von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer, Insel, Leipzig: 1907, S. 38 (Wikisource)
Dieser wohl beliebteste Slogan der Friedensbewegung
wurde durch einen Artikel der Autorin Charlotte Keyes ab 1966 in Amerika
in der Version "Suppose They Gave a War and No One Came" berühmt, und
kam Ende der 1970er Jahren auch in Deutschland auf, wo er bald irrtümlich Bertolt
Brecht untergeschoben wurde.
Der einflussreiche Sprachkritiker und Sprachstillehrer Wolf Schneider zum Beispiel illustrierte mit diesem amerikanischen Zitat irrtümlich die Größe von Bertolt Brechts Sprache, "in der gemeisselten Einfachheit, die er an
Luther schulte":
2008, Pseudo-Bertolt-Brecht-Zitat:
"Der
Dichter Bert Brecht aber hat für die deutsche Sprache und durch sie
Grosses geleistet: zum einen in der gemeisselten Einfachheit, die er an
Luther schulte ('Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin'), zum
anderen in der frechen, zynischen Kraft - von der 'Dreigroschenoper'
[...] bis zu seinem 'Zweiten Psalm' ".
Wolf Schneider: "Bert Brecht, begnadetes Scheusal", NZZ, 1. Juli 2008 (Link)
Grafik von Johannes Hartmann, Hamburg 1981.
1981 wird
diese pazifistische Devise durch die Grafik des Hamburger Designers
Johannes Hartmann in ganz Deutschland populär, und obwohl Ralf Bülow
1983 im 'Sprachdienst', Siegfried Unseld 1991 in einem Leserbrief an die
FAZ und schließlich Christoph Drösser 2002 in der ZEIT-Kolumne "Stimmt's?" und viele andere darauf hinwiesen, dass der Spruch auf den amerikanischen Lyriker Carl Sandburg zurückgeht und mit Bertolt Brecht nichts zu tun hat, wird der Slogan auch 2018 noch Bertolt Brecht untergeschoben.
In
einer längeren Fassung wurden diesem antimilitaristischen Spruch Zeilen
aus einem Gedicht Bertolt Brechts angehängt und der gesamte Text
Bertolt Brecht irrtümlich zugeschrieben.
Pseudo-Bertolt-Brecht-Zitat:
"Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. (1) Dann kommt der Krieg zu Euch! (2) Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und
läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen: Denn wer den
Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal
Kampf vermeidet, wer den Kampf vermeiden will, denn er wird kämpfen für
die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat."
(3)
Weder der erste Satz
(1 'Stell dir vor ..') noch der zweite Satz (2 'Dann kommt..') dieses Slogans
hat etwas mit Bertolt Brecht zu tun, wobei der zweite Satz völlig der pazifistischen Aussage des ersten widerspricht.
(1): "Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht
hin."
Autor: Carl Sandburg, verändert von J. Newman, popularisiert von Charlotte Keyes (Link). "Suppose They Gave a War and No One
Came", war ein Slogan amerikanischer Hippies und
Kriegsdienstverweigerer, von denenen einige lieber Jahre im
Gefängnis verbrachten als im Krieg gegen Vietnam zu kämpfen. Charlotte
Keyes, die Mutter eines dieser Kriegsdienstverweigerer, hat 1966 den
Slogan in einem Artikel über ihren Sohn populär gemacht (pdf).
Sie hat den Slogan von dem Ausspruch eines kleinen Mädchens aus einem 300 Seiten langen Gedicht
von Carl Sandburg abgeleitet, "Sometime
they'll give a war and nobody will come" (Little girl), der ihr durch einen Leserbrief in der Version, "Suppose They Gave a War and No One
Came", in Erinnerung gebracht wurde. Ich folge hier den Recherchen ihres anderen Sohnes, Ralph Keyes, aus seinem Standardwerk "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When" (Link).
"Stell dir vor, es kommt Krieg, und keiner geht hin." Grafik von Johannes Hartmann
(2): Dann kommt der Krieg zu Euch!
Autor: Wahrscheinlich ein unbekannter Schweizer in einer Schweizer Militärzeitung. Diese Satz hebt die antimilitaristische Aussage des ersten Satzes auf.
(3): "Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf
beginnt ...."
Autor: Bertolt Brecht
"Wer zu Hause bleibt; wenn der Kampf beginnt
... Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt Und läßt andere kämpfen
für seine Sache Der muß sich vorsehen: denn Wer den Kampf nicht
geteilt hat Der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal den Kampf
vermeidet Wer den Kampf vermeiden will: denn Es wird kämpfen für die
Sache des Feinds Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat."
."The king of Zor, he called for war
And the king of Zam, he answered. ... ... Two little kings playing a game. They gave a war and nobody came."
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Quellen:
Charlotte E. Keyes: "Suppose They Gave a War and No One Came", October 1966 (pdf) Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 239 (Link) Carl
Sandburg: The Complete Poems of Carl Sandburg. Revised and Expanded
Edition. Introduction by Archibald McLeish. Harcourt, San Diego/ New
York/ London: 1970, S. 464 (Link)
Siegfried Unseld: Leserbrief, FAZ 12. März 1991 (Link) Ralf Bülow: "Stell Dir vor, es gibt einen Spruch ...", Der Sprachdienst Jg. 27, 1983, S. 97-100
Christoph Drösser: "Stimmt's? Von Brecht? Unvorstellbar." Die ZEIT 31. Januar 2002 (Link) Johannes Hartmann: "Die rätselhafte Parole: 'Stell Dir vor, es ist Krieg, und Keiner geht hin'", Der SPIEGEL, EINESTAGES, 6. Februar 2016 (Link)
Bertolt Brecht: "Kolomann Wallisch Kantate" (Link)(Link),
in: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter
Ausgabe, Band 14 (Gedichte 4), Berlin, Weimar und Frankfurt: 1993, S.
262–270, S. 267
Beispiele für falsche Zuschreibungen:
2008: Wolf Schneider: "Bert Brecht, begnadetes Scheusal", Neue Zürcher Zeitung, NZZ, 1. Juli 2008 (Link)
2011: Wolf Schneider:" Deutsch für junge Profis: Wie man gut und lebendig schreibt" Rowohlt: 2011, rororo rowohlt digitalbuch (Link)
2018: Frank
Schmidt-Wyk: "Politikwissenschaftler Herfried Münkler: Mehr
Besonnenheit im Umgang mit Russland", Interview, "Lampertheimer
Zeitung", 31. März 2018 (Link);
2013: unzensuriert.at
Artikel in Arbeit.
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Letzte Änderungen: 6/1 2022 (neu: NZZ); 19/5 2022.
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ANHANG
Wolf Schneider: "Deutsch für junge Profis: Wie man gut und lebendig schreibt" 2011 (Link)