Mittwoch, 14. Februar 2018

"Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein." Willy Brandt (angeblich)

Pseudo-Willy-Brandt-Zitat.

Dieser Satz wurde Willy Brandt etwa 10 Jahre nach seinem Tod erstmals untergeschoben. 


Bislang ist dieses Zitat so oder so ähnlich weder in Zeitungen, Blogs oder digitalisierten Büchern des 20. Jahrhunderts, noch in den Dokumenten des Willy-Brandt-Archivs der Friedrich-Ebert-Stiftung gefunden worden.

Leserbrief, Stern, 18.3.2004, Pseudo-Willy-Brandt-Zitat.

Einer der Ersten, oder der Erste, der dieses Zitat Willy Brandt zugeschrieben hat, war ein Leserbriefschreiber des Magazins "Stern" am 18. März 2004. Er glaubt heute, dieses Willy-Brandt-Zitat damals so in einer Rede oder in einem Interview Oskar Lafontaines gehört oder gelesen zu haben, wie er dem Willy-Brandt-Archiv auf Nachfrage mitteilte.

Nur zwei Tage nachdem der Leserbrief erschienen ist wählte der Theologe und Bürgerrechtler  Friedrich Schorlemmer dieses Zitat als Motto für seine Rede, "An meine Freunde in der SPD", die in seinem Buch "In der Freiheit bestehen: Ansprachen" (2004) veröffentlicht ist.

Schorlemmer zitiert in diesem Buch auch einen angeblichen Spruch eines amerikanischen Präsidenten:

  • "Wir stehen zu dem Amerika eines Abraham Lincoln, der gesagt hat: 'Es gibt keinen ehrenwerten Weg, zu töten, keinen sanften Weg, zu zerstören. Es gibt nichts Gutes am Krieg. Außer seinem Ende.'"
    Friedrich Schorlemmer, 2004, 2010 (Link)

Dieses Zitat stammt allerdings nicht von dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln, sondern von einem Drehbuchautor der Serie Star Trek, und wird der fiktiven Figur "Abrahm Lincoln" in den Mund gelegt (1:30):



"Star Trek
Abraham Lincoln: 'There's no honorable way to kill, no gentle way to destroy. There is nothing good in war except its ending.'
Sometimes incorrectly cited as an actual Lincoln Quote." (Link)
-

Nach der aktuellen Quellenlage ist zu vermuten, dass Friedrich Schorlemmer sich auch bei seinem Willy-Brandt-Zitat geirrt hat, weil er von einem Leserbriefschreiber, über dessen Seriösität wir nichts wissen, das Zitat unüberprüft übernommen hat. Dieses Willy-Brandt-Zitat wäre übrigens nicht das erste Falschzitat, das von einem Leserbrief ausgegangen ist.


Geschichte des Falschzitats

2004
  • 18. März 2004: Leserbrief im Stern (nicht Online)
  • 20. März 2004: Motto von Friedrich Schorlemmer in einer Rede (Link)
2006
  • 24. Oktober 2006: Bei Wikiquote ohne Quellenangabe gebucht unter der Rubrik "Zugeschrieben" (Link)
 2008
  •  21. März 2008: Das Zitat wird bei Wikiquote wieder gelöscht. (Link)
2013
  •  Das Zitat wird von Gegnern der Großen Koalition oft zitiert.

2018
  •  Das Zitat wird wieder von Gegnern der Großen Koalition oft zitiert.
(Quellen vor 2004 könnten noch auftauchen.)

-
-

-


Schon Viele (Rechercheure von Wikipedia und vom Willy Brandt-Archiv, zum Beispiel) haben dieses Zitat seit 10 Jahren vergeblich in einer vertrauenswürdigen Quelle aus dem 20. Jahrhundert gesucht.

Ohne Nachweis, wann und wo Willy Brandt den fraglichen Satz gesagt hat, sollte man ihn seriöser Weise nicht mehr als Willy-Brandt-Zitat verbreiten.

__

Willy Brandt, 1966

  • "BRANDT: Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiß. Wenn er zusammen mit der SPD ausgehandelt werden muß, ergibt es einen besseren Kompromiß als den, der allein aus den Gegensätzen innerhalb der CDU/CSU herauskommt."
    DER SPIEGEL 50/1966, 5. Dezember 1966 (Link)


________
Quellen:
Google
Twitter
Friedrich Schorlemmer: "In der Freiheit bestehen: Ansprachen" (2004), Aufbau Verlag, Berlin: 2010 ebook, "Die Reformen und ihre Verlierer. An meine Freunde in der SPD", 20. März 2004 (Link); Lincoln (Link)
"Lincoln's words noted, misquoted", Washington Times, 1. Dezember 2003 (Link)  
Wikiquote (Link)
Wikiquote, 24. Oktober 2006 (Link)
Wikiquote, 21. März 2008 (Link)
E-Mail-Korrespondenz mit Sven Haarmann vom Willy-Brandt-Archiv, Februar 2018
Stern, Nr. 13/2004,  18. März 2004, Leserbrief, S. 25
Hans Gerhard Stephani, Hans-Roderich Schneider und  Ernst Goyke: "AUF DEM FALSCHEN BEIN HURRA?", Spiegelgespräch mit Willy Brandt, DER SPIEGEL 50/1966, 5. Dezember 1966 (Link)
_______
 Dank:

Danke für den Hinweis, Tobias Blanken und Stephan Dörner.
Dank an die Leute von Wikiquote und vor allem an Sven Haarmann vom Willy-Brandt-Archiv in Bonn, der mich auf viele Quellen des Falschzitats hinwies und den "Stern"-Leserbriefschreiber um Auskunft bat.


Artikel in Arbeit.

Dienstag, 13. Februar 2018

"Ein Idiot ist ein Idiot. Zwei Idioten sind zwei Idioten. Zehntausend Idioten sind eine politische Partei.“ Franz Kafka (angeblich)

Dieser Aphorismus klingt gar nicht nach der subtilen Prosa Franz Kafkas und er stammt auch nicht von ihm; der Witz war in Italien schon 1986 bekannt und wurde damals dem italienischen Humoristen Leo Langanesi zugeschrieben. 2003 wurde er dann in einer satirischen Schrift gegen Silvio Berlusconi erstmals Franz Kafka unterschoben (Link).

Der italienische Satiriker ist vielleicht davon ausgegangen, dass seine Leserinnen und Leser die falsche Zuschreibung erkennen. Viele falsche Zitate entstehen aus Satiren, die nicht als Satiren erkannt werden.

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.

Seit ein paar Jahren hat sich dieser Scherz auf der ganzen Welt verbreitet und wird in vielen europäischen Sprachen irrtümlich Franz Kafka zugeschrieben.

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat:

  • "One idiot is one idiot. Two idiots are two idiots. Ten thousand idiots are a political party.” 
  • "Un cretino è un cretino. Due cretini sono due cretini. Diecimila cretini sono un partito politico."
  • "Un idiota è un idiota; due idioti sono due idioti. Diecimila idioti sono un partito politico." 
  • "Um idiota é um idiota; dois idiotas são dois idiotas. Dez mil idiotas são um partido político."
  • "Un idiota es un idiota. Dos idiotas, son dos idiotas. Diez mil idiotas son un partido politico".
  • "Un idiot est un idiot; Deux idiots sont deux idiots; Dix mille idiots sont un parti politique."
  • "Ein Idiot ist ein Idiot. Zwei Idioten sind zwei Idioten. Zehntausend Idioten sind eine politische Partei." 
  • "Jedan idiot je jedan idiot. Dva idiota su dva idiota. Deset hiljada idiota je politička partija".
  • "Один идиот это один идиот, два идиота это два идиота, 10 тысяч идиотов это уже целая политическая партия."  

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.

Entwicklung des Aphorismus:

1986, Italienisch, Longanesi
  • "E viene in mente, scusate, la famosa battuta di Leo Longanesi: un cretino è un cretino, due cretini sono due cretini, tre cretini sono tre cretini, ma diecimila cretini sono una forza storica." (Google) (Link)
    ("Und es kommt mir der berühmte Witz von Leo Longanesi in den Sinn: ein Idiot ist ein Idiot, zwei Idioten sind zwei Idioten, drei Idioten sind drei Idioten, aber zehntausend Idioten sind eine historische Kraft.")

1992, Longanesi

  • "Come diceva Longanesi un cretino è un cretino, due cretini sono due cretini, diecimila cretini sono una forza storica."

2003, Kafka
  • "Un cretino è un cretino. Due cretini sono due cretini. Diecimila cretini sono un partito politico." (Franz Kafka)  (Link)

2011, Portugiesisch
  • “Um idiota é um idiota; dois idiotas são dois idiotas. Dez mil idiotas são um partido político”.
    8 de Abril de 2011 – 17:47 hs
       (Link)

2012, Italienisch
  • "Un idiota è un idiota; due idioti sono due idioti. Diecimila idioti sono un partito politico."(Link)
2014, Englisch
2015, Französisch
  • "Un idiot est un idiot; Deux idiots sont deux idiots; Dix mille idiots sont un parti politique."

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.

2015, Spanisch

In den digitaliserten Werken Franz Kafkas ist dieses vor 15 Jahren entstandene Pseudo-Kafka-Zitat - wie zu erwarten - nicht zu finden.

 ___________
Quellen:
Google Deutsch
Google English
Carmen Prencipe Di Donna: "Letteratura e sport",  Cappelli: 1986 , S. 120 (Leo Longanesi erstmals zugeschrieben.)
"Berluschenol. 85 g di barzellette sulla politica", Pubblicato da L'Airone Editricem, Roma: 2003, S. 123 (Franz Kafka erstmals zugeschrieben.)  (Link)

 ______
Dank
Ich danke Ronsens für den Hinweis auf dieses Falschzitat.
_____


Artikel in Arbeit.

Montag, 12. Februar 2018

"Man kann den Armen nicht helfen, indem man die Reichen vernichtet." Abraham Lincoln (angeblich)

Ronald Reagan und viele andere haben diesen Satz Abraham Lincoln zugeschrieben, aber er stammt von Rev. William John Henry Boetcker, einem völlig vergessenen amerikanischen Prediger.

Snopes, 2018:


  • "The Rev. William John Henry Boetcker was a Presbyterian minister and notable public speaker who served as director of the pro-employer Citizens’ Industrial Alliance, a position he held when, in 1916, he produced a booklet of “nuggets” from his lectures, which included maxims such as “We cannot strengthen the weak by weakening the strong” ..." (Link)

 

Zehn Gebote ("The Ten Cannots") von John Henry Boetcker, die Abraham Lincoln unterschoben werden:


  • "You cannot bring about prosperity by discouraging thrift.
    You cannot strengthen the weak by weakening the strong.
    You cannot help little men by tearing down big men.
    You cannot lift the wage earner by pulling down the wage payer.
    You cannot help the poor by destroying the rich.
    You cannot establish sound security on borrowed money.
    You cannot further the brotherhood of man by inciting class hatred.
    You cannot keep out of trouble by spending more than you earn.
    You cannot build character and courage by destroying men’s initiative and independence.
    You cannot help men permanently by doing for them what they can and should do for themselves."
Auf Deutsch gibt es dieses  Pseudo-Abraham-Lincoln-Zitat seit ungefähr zwanzig Jahren; es wird seitdem von Managementratgebern, Online-Zitatlexika, aber auch durch eine Duden-Ausgabe und durch Zeitungen verbreitet.
 ________
Quellen:
Google
Dudenredaktion: Duden - Zitate und Ausspüche, Duden Verlag, 2012, S. 661 (Link) (fälschlich Abraham Lincoln zugeschrieben.)
Wikipedia 
Snopes, 2009, 2018 (Link)

Sonntag, 11. Februar 2018

"Kein Wind ist demjenigen günstig, der nicht weiß, wohin er segeln will.“ Michel de Montaigne (angeblich)

"Nul vent fait pour celuy qui n'a point de port destiné."
Michel de Montaigne

Dieses Zitat des französichen Philosophen Michel de Montaigne  geht auf einen ähnlichen Satz von Lucius Annaeus Seneca in einem Brief an Lucilius aus dem Jahr 64 n. Chr. zurück.

Montaigne, Übersetzungen:

  • 1753: "Wer sich keinem gewissen Hafen vorgesetzet hat, dem ist kein Wind günstig." (Link)
  • 1793: "Wer nach keinem betimmten Hafen steuert, dem ist kein Wind günstig." (Link)
  • 1942: "Kein Wind dient dem Manne, der keinen Hafen ansteuert." (Link)
  • 1957: "Dem weht kein Wind, der keinen Hafen hat, nach dem er segelt."

  • "No wind serves him who has no destined port." (Link)
  • "No wind works for the man who has no port of destination. " (Link)    

Das Zitat Montaignes wird in den letzten Jahrzehnten sehr frei ins Deutsche übersetzt:
  • "Kein Wind ist demjenigen günstig, der nicht weiß, wohin er segeln will."
  • "Kein Wind ist dem günstig, der nicht weiß, wohin er segeln will."   
 _
  • "Aucun ne fait certain dessein de et puis y accommoder la main, l'arc, la corde, la fiesche, et les mouvemens. Nos conseils fourvoyent, parce qu'ils n'ont pas d'adresse et de but. Nul vent fait pour celuy qui n'a point de port destiné."
    Michel de Montaigne: Essais. Hrsg. v. Pierre Coste,  P. Gosse u. J. Neaulme, Haye: 1727,
    Livre Second, Chap. I, S. 12 (Link)

  • "Niemand macht einen festen Entwurf für sein Leben, und nur Theilweise nehmen wir es unter unsere Überlegung. Der Bogenschütze muß doch erst wissen, wohin er zielen soll, und dann erst seine Hand, den Bogen, Sehne, Pfeil und Schneller darnach einrichten. Unsre Anschläge sind nichtig, weil sie kein fest bezeichnetes Ziel haben. Wer nach keinem bestimmten Hafen steuert, dem ist kein Wind günstig."
    Michael Montaigne’s Gedanken und Meinungen über allerley Gegenstände. Ins Deutsche übersetzt.  F.T. Lagarde, Berlin: 1793, Band 3, Zweytes Buch, 1. Kapitel,  S. 17 (Link)

 Seneca: Moralische Briefe an Lucilius (Epistulae morales ad Lucilium), VIII, Brief LXXI, 3, 64 n. Chr.:

 

  • "ignoranti quem portum petat nullus suus ventus est."

     
  • "Wenn man nicht weiß, welchen Hafen man ansteuert, ist kein Wind günstig."
  • "Wer nicht weiß, welchen Hafen er anlaufen soll, bekommt keinen günstigen Wind." 
  • "Für einen, der nicht weiß, welchen Hafen er anlaufen soll, ist kein Fahrtwind günstig." 
  •  "Il n'y a point de vent favorable pour celui qui ne sait dans quel port il veut arrive." (Link)
  • "If one does not know to which port one is sailing, no wind is favorable."
  • "When a man does not know what harbour he is making for, no wind is the right wind."
  • "You Must Know Your Destination Port If You Wish to Catch A Favorable Wind."

 _
  • "Scire debet quid petat ille qui sagittam vult mittere, et tunc derigere ac moderari manu telum: errant consilia nostra, quia non habent quo derigantur; ignoranti quem portum petat nullus suus ventus est."
    Seneca, Brief LXXI an Lucilius (Link)
  • "Wissen muß, wohin zielt, wer einen Pfeil abschießen will, und dann ausrichten und lenken mit der Hand das Geschoß: In die Irre gehen unsere Pläne, weil sie kein Ziel haben, auf das sie ausgerichtet werden können. Wer nicht weiß, welchen Hafen er anlaufen soll, bekommt keinen günstigen Wind."
    Seneca, Brief LXXI an Lucilius


Oscar Wilde wird der Satz Senecas in der Version, "Günstige Winde kann nur der nutzen, der weiß, wohin er will", unterschoben (Link), wie Garson O'Toole dokumentiert hat (Link).

_______
Quellen:
Google
Google: Aucun vent ne sert celui qui dirige son voyage vers aucun port certain. "Ungefähr 5 Ergebnisse" 
Garson O'Toole (Quote Investigator): "You Must Know Your Destination Port If You Wish to Catch A Favorable Wind -  Oscar Wilde? Seneca the Younger? Leon Tec?", 2011 (Link)
Lucius Annaeus Seneca: Philosophische Schriften. Vierter Band: Ad Lucilium epistulae morales. An Lucilius Briefe über die Ethik 70—124. Hg. V. Manfred Rosenbach. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1984, S. 21 (Link)
Moralische Briefe an Lucilius (Epistulae morales ad Lucilium), VIII, LXXI, 3  (Link)
Seneca: Letter LXXI: On the supreme good, line 3
L. Annaeus Seneca: Epistulae morales ad Lucilium, Hrsg. von Rainer Nickel, Band 1,  Artemis u. Winkler, 2007, S. 416 (Link)
Michel de Montaigne: Essais. Hrsg. v. Pierre Coste,  P. Gosse u. J. Neaulme, Haye: 1727, Livre Second, Chap. I, S. 12 (Link)
Michael Montaigne’s Gedanken und Meinungen über allerley Gegenstände. Ins Deutsche übersetzt.  F.T. Lagarde, Berlin: 1793, Band 3, Zweytes Buch, 1. Kapitel,  S. 17 (Link) 
Stefan Zweig: Montaigne. (1941, 1942 verfasst) Hrsg. von Karl-Maria Guth. Contumax, Berlin: 2015, S. 31 (Link)

______
Dank:
Ich danke Tacita für den Hinweis auf dieses Zitat.

_____
Artikel in Arbeit. 


Samstag, 10. Februar 2018

"Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren." Bertolt Brecht (angeblich)

Wandtattoo; Pseudo-Bertolt-Brecht-Zitat.
Dieses heutzutage bei Sportlern und Aktivisten beliebte Sprichwort stammt nicht von Bertolt Brecht, sondern entstand anscheinend in den 1970er Jahren als Sponti-Spruch. (Link) 
Pseudo-Bertolt-Brecht-Zitat.
Das Zitat wird seit etwa 1993  Bertolt Brecht und später auch anderen Autorinnen und Autoren irrtümlich zugeschrieben; es wurde von einer unbekannten Person in den 1970er Jahren geprägt.

Von Bertolt Brecht stammt der Satz: "Wer den Kampf nicht geteilt hat/ Der wird teilen die Niederlage."

"WER ZU HAUSE BLEIBT, WENN DER KAMPF BEGINNT
Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt
Und läßt andere kämpfen für seine Sache
Der muß sich vorsehen: denn
Wer den Kampf nicht geteilt hat
Der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal den Kampf vermeidet
Wer den Kampf vermeiden will: denn
Es wird kämpfen für die Sache des Feinds
Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat."
Bertolt Brecht, Kolomann Wallisch Kantate (Link) (Link)

 

Entwicklung des Zitats


1706
  • "denn wer nicht kämpft, trägt auch die Cron des ew'gen Lebens nicht davon."  (Link)
1970er Jahre, Sponti-Spruch

  • "Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren. "
  • "Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, kann nicht gewinnen." (Link) 

1984, Buchtitel
  • "Hans Ziegenfuß ua.: »Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren« VSA Verlag, Hamburg: 1984 (Link)

1985, Filmtitel
  • "Wie leicht das schief gehen kann, weiß Kluge: Es gibt einen Filmtitel von Günther Hörmann: 'Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren'. Wenn wir 's probieren, kann es sein, daß wir scheitern, und zwar aufgrund der Widersprüche unserer Produktionsstruktur." (Link)

1986, Buchtitel
  • "Anke Martiny: Wer nicht kämpft, hat schon verloren: Frauen und der Mut zur Macht Cover  Rowohlt, 1986" - (Link) 

1986, Kluge (angeblich)
  • "Wie sagt Alexander Kluge? Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Die SPD wird kämpfen. Die werden sich noch wundern." (Link)

1993, Bertolt Brecht (angeblich)
  • "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren", hat Bertolt Brecht gesagt." (Link) 

2004
  • "Auf seinem hellblauen T-Shirt steht: 'Wer kämpft, kann verlieren! Wer nicht kämpft, hat schon verloren!'" 

2004
  • "Bestätigt hat sich die alte Weisheit: Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren. Ich möchte hinzufügen: Wer kämpft, kann auch gewinnen!" (Link)  

2009
  • "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Zitat wird mehreren erfolgreichen Menschen zugeschrieben". (Link)
2011 Bertolt Brecht, englisch


 2012 Brecht (angeblich)
  • "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. - Berthold Brecht" 

2017, Rosa Luxemburg (angeblich)
  • "Doch bei der Verhandlung hatte er gesagt, dass ihm die offizielle Feststellung, dass man ihm Unrecht getan habe, genüge, und dass er damit seinem Wahlspruch: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, tatsächlich gefolgt sei. Der Wahlspruch wird oft Bertolt Brecht zugewiesen, stammt jedoch von Rosa Luxemburg." (Link) 
2018, Brecht (angeblich)




 _________
Quellen:
Das Zitat wird in vielen Online-Zitatsammlungen fälschlich und immer ohne Quellengabe Bertolt Brecht zugeschrieben: Google 
Wikipedia 
Hans Ziegenfuß ua.: Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. VSA Verlag, Hamburg: 1984 (Link)
Anke Martiny: Wer nicht kämpft, hat schon verloren: Frauen und der Mut zur Macht Cover.  Rowohlt, Reinbek: 1986 (Link)

____
Artikel in Arbeit. 

Samstag, 3. Februar 2018

"Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten, vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott ..." Theodor Körner (angeblich)

Deutsche Neonazis haben dieses Drohgedicht vor kaum 20 Jahren dem deutschen Dichter Theodor Körner unterschoben, der im Sommer 1813 im Kampf gegen napoleonische Truppen im 21. Lebensjahr gefallen ist.


Theodor Körner

  • Aufruf / 1813

    F
    risch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen,
    Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht.
    Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen,
    Frisch auf, mein Volk! — Die Flammenzeichen rauchen,
    Die Saat ist reif, ihr Schnitter, zaudert nicht!
    Das höchste Heil, das letzte liegt im Schwerdte!
    ...

    Theodor Körner: "Leyer und Schwerdt." Berlin, 1814, S. 37 (Link)
     
Kriegsverherrlichende Verse ("das höchste Heil, das letzte liegt im Schwerte!")  machten den Dichter Teodor Körner bei deutschen Miltitaristen und Nationalsozialisten beliebt. Allerdings enthält das Werk Theodor Körners keine Verse gegen die eigene Regierung, gegen die eigenen Fürsten.

Das Falschzitat "Noch sitzt ihr da oben ..." wurde laut Recherchen des Literaturwissenschaftlers  Erhard Jöst am 21. (!) April 1990 bei einer Neonazi-Großveranstaltung im Münchner Löwenbräukeller erstmals vorgetragen:

  • "Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten,
    vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott.
    Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
    dann richtet das Volk und es gnade euch Gott."

    Unbekannte Autorin, um 1990, später fälschlich Theodor Körner zugeschrieben.

Diese Verse sind ein in Reimen versteckter Mordwunsch voller Anspielungen auf nationalsozialistisches Vokabular.

Die Wendung, "vom Feinde bezahlt", gehört zur typischen Verschwörerweltsicht von Rechtsextremen, wobei als Feind entweder "die Amerikaner", "die Linken", "die Juden" oder heutzutage George Soros imaginiert wird, der in der Phantasie dieser Leute die CDU/SPD-Regierungen durch Bestechung gefügig macht.

Bei der Floskel, einst werde "wieder Gerechtigkeit walten", kann sich das Wort "wieder" in diesem Zusammenhang nur auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 in Hitler-Deutschland beziehen.

Und wenn "das Volk" richten soll, träumt man wohl von einem Volksgerichtshof, wahrscheinlich wie einst mit "volkshygienischen Aufgaben", in dem "das Volk" die Bundesregierung Angela Merkels (offenbar zum Tod) verurteilen wird.

Das Gedicht endet mit der Redensart, dann "gnade Euch Gott". Mit eben diesen Worten hat Adolf Hitler 1922 in München der damaligen Regierung und den Juden, wenn er einmal an der Macht sei, gedroht; und für die sozialdemokratische Führung gäbe es dann nur noch eine Strafe: "den Strick".

In den Schriften Theodor Körners ist keine einzige Zeile dieses Neonazi-Drohgedichts, das eine strafrechtliche Verurteilung der deutschen Bundesregierung durch einen Volksgerichtshof herbeiwünscht, enthalten.

 
Pseudo-Theodor-Körner-Zitat.


Verbreitet wird dieses auf  Facebook und Twitter im rechtsextrem Milieu beliebte Neonazi-Zitat unter dem Namen Theodor Körners seit etwa 2008 zum Beispiel von H. C. Strache, FPÖ (Link), Jürgen Pohl, AfD (Link), von rechten Webseiten wie unzensuriert.at (Link), sowie auf PEGIDA-Demonstrationen.

-
Facebook, 18. Januar 2012:



-

Twitter, 21. Januar 2018:
-
Pseudo-Theodor-Körner-Zitat.
Neonazi-Zitat. Theodor Körner unterschoben.

______
Quellen:
Google:  "Ungefähr 4 850 Ergebnisse"
Theodor Körner: "Leyer und Schwerdt." Berlin: 1814, S. 37. In: Deutsches Textarchiv , abgerufen am 26. September 2018 (Link)
Erhard Jöst: "Opfertod fürs Vaterland. Der literarische Agitator Theodor Körner", in: Clauda Glunz, Thomas F. Schneider (Hrsg.): "Dichtung und Wahrheit: Literarische Kriegsverarbeitung vom 17. bis zum 20. Jahrhundert", Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, Osnabrück: 2015, S. 29f. (Link) (via Wikipedia)
Wikipedia:  "Am 23. September 2016 publizierte die AfD-nahe Gruppierung Björn HöckesDer Flügel“ Körners Satz „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ mit dem obigen Spruch."
Andreas Kemper: "Wieder reinste Nazi-Propaganda vom 'Flügel'", Facebook, 26. September 2016 (Link)
Einige von Körners Versen wurden auch von Nazigegnerinnen wie Marlene Dietrich und Widerstandskämpfern der "Weißen Rose" gerne zitiert.
pronoever.com/fpoe-unzensuriert-wirbt-fuer-bewegung-theodor-koerner-1813-mitglieder-an
Theodor Körner: "Das Volk steht auf, der Sturm bricht los –", Zeno.org   (Link)
stopptdierechten.at/2018/09/13/die-feigen-gestalten-da-oben/ 
 
Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Twitter
Usenet (seit 2008)
Rainer Kahni (Monsieur Rainer): "Die Totengräber der Demokratie: Ein Wut-Buch",  Books on Demand, Norderstedt: 2011, S. 476 (Link)
Rainer Kahni (Monsieur Rainer): "Wehrt Euch! Eine Streitschrift gegen Willkür und Unrecht ..." Edition BOD, herausgegeben von Vito von Eichborn, Books on Demand, Norderstedt: 2013, S. 43 (Link)
Jürgen Pohl, AfD, 20. September 2017, Spiegel Online Fotostrecke (Link)
H. C. Strache,  Facebook, 18. Januar 2012
Anonym: "Der Widerstand formiert sich: 'Bewegung Theodor Körner, 1813'", unzensuriert.at, 12. September 2015, (Link) Nachtrag August 2018: Diese Seite ist inzwischen gelöscht.
2005:  viermalvier.de (inzwischen gelöscht) 
2007:  forum.wildundhund.de (inzwischen gelöscht)
2010:  querdenkerforum.de
2012:  thule-gesellschaft.org  
2015:  hart-brasilientexte.de
2016:  lupocattivoblog.com
2017:  sezession.de

Eine Fassung von Theodor Körners verändertem Gedicht "Das Volk steht auf, der Sturm bricht los": Youtube, 13. Dezember 2015  (Link);  das Original-Gedicht Theodor Körners: (Link)
"Wahrheit macht frei - Dokumentation 1991", (Neonazi-Löwenbräukeller-Veranstaltung: 24:10) Youtube (Link)
______
Ich danke Erhard Jöst und den MitarbeiterInnen von Wikipedia sehr für ihre Recherchen, sowie Letnapark für seinen Hinweis.

______
Artikel in Arbeit.
Letzte Änderung: 26/9 2018 


_________________________________________________________

Ursprünglich enthielt der Artikel noch folgende Zeilen, die inzwischen obsolet sind, da sich die  "Bewegung Theodor Körner, 1813" - wohl weil sie keine Mitglieder fand - weitgehend selbst gelöscht hat:

Die "Bewegung Theodor Körner, 1813" zum Beispiel sagt "den linken Volksverhetzern den Kampf an",  liest man auf unzensuriert.at, einer FPÖ-nahen Seite, und diese Körner-Bewegung mit der Devise, "Sachlichkeit hat bei uns oberste Priorität", zitiert in ihrem Werbetext  dieses um 1990 erfundene Theodor-Körner-Gedicht.
Unzensuriert.at, 2015; inzwischen gelöschte Seite.

"Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält." Marie von Ebner-Eschenbach (angeblich)


Pseudo-Marie-von-Ebner-Eschenbach-Zitat.

Dieser in Österreich oft zitierte Vers aus einer Festrede von  Friedrich Hebbel wird manchmal irrtümlich Josef Weinheber, Franz Grillparzer oder Marie von Ebner-Eschenbach zugeschrieben.

Das Zitat stammt aus einer ungewöhnlich optimistischen Festrede von Friedrich Hebbel zum  Jahrestag der neuen österreichischen Verfassung, dem Februarpatent 1861


  •  Friedrich Hebbel, 1862

    "...
    Dies Oesterreich ist eine kleine Welt,
    In der die große ihre Probe hält,
    Und waltet erst bei uns das Gleichgewicht,
    So wird's auch in der andern wieder licht.
    Drum eilt, ihr wirkt ja für die gold'ne Zeit,
    Denn nicht im Dunkel der Vergangenheit
    Soll man sie suchen, vor uns liegt sie da.
    Einst wird geschehen, was noch nie geschah.
    Schaut hin auf Pericles und sein Athen
    Und fragt euch selbst: wie wird's auf Erden steh'n,
    Wenn die vereinten Kräfte des Geschlechts
    Sich rühren in dem Segen gleichen Rechts,
    Und wenn sich der Planet mit Blüten krönt,
    Wie sie das Beet, das Hellas hieß, verschönt'."


    Friedrich Hebbel: Prolog zum 26. Februar 1862 (Zu Wien im Operntheater gesprochen.) (Link)



Wenn Karl Kraus 1914 von "dieser Versuchsstation des Weltirrsinns" und der "österreichischen Versuchsstation des Weltuntergangs" schreibt, ist aller Optimismus des Festredners Hebbel über die Zukunft Österreichs als Probebühne der Welt verschwunden.



______
 Quellen:
Google
Friedrich Hebbel's sämmtliche Werke, Band 7 Gedichte, Hoffmann und Campe, Hamburg: 1867, S. 280 (Link)
Karl Kraus: "Die Fackel", 1914, Nr. 398, S. 17, Nr. 400, S. 2, 46
Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL von Karl Kraus (digitale Edition)