Montag, 17. April 2017

"Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten." Karl Kraus (angeblich)

Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.

Der Satz von den schattenwerfenden Zwergen wird seit Jahrzehnten fälschlich Karl Kraus zugeschrieben und stammt so ähnlich von Robert Scheu, einem ehemaligen Mitarbeiter von Karl Kraus: "Wie tief ist die Sonne unseres Zeitalters gesunken, wenn solche Pygmäen solche Schatten werfen!" (1926)  (Link)

Der Aphorismus könnte aus einem Schweizer Sprichwort ("Ein kleiner Mann macht oft einen großen Schatten"), einer Zeile von Friedrich Rückert ("lange Schatten warfen Zwerge") und nach einem Aphorismus von Alfred Polgar ("In Todes Nähe werfen auch ... dürftige Menschen ... imponierend breite Schatten") entstanden sein.



Schweizer Sprichwort

  • "Ein kleiner Mann macht oft einen großen Schatten."

Friedrich Rückert

  • "Der furchtsame Riese.
    Sonne stand am Himmel schief,
    lange Schatten warfen Zwerge,
    Riese saß auf seinem Berge,
    sah die Schatten und entlief."

Alfred Polgar, 1909:

  • "In Todes Nähe werfen auch kleine Dinge, dürftige Menschen, schmächtige Gedanken imponierend breite Schatten."
    Alfred Polgar: "Der Ruf des Lebens", "Die Schaubühne", 5. Jahrgang, Nr. 53, 30. Dezember 1909, 2. Band, S. 713-717, S. 715 (Link)

Dem Berliner Historiker Julian Nordhues verdanken wir die Entdeckung, dass der ehemalige Mitarbeiter der 'Fackel', der Jurist und Autor Robert Scheu, 1926 die erste Version dieses Aphorismus geprägt hat:

Robert Scheu, 1926:

  • "Wie tief ist die Sonne unseres Zeitalters gesunken, wenn solche Pygmäen solche Schatten werfen!"
    Robert Scheu: "Gedanken", in: "Das Tage-Buch", hrsg. von Stefan Großmann,  20. März 1926, Heft 12, Jg. 7,  S. 464 (Link)
1974 wird das Bonmot - laut Google-Books-Suche - in einer Zitatsammlung erstmals Karl Kraus zugeschrieben (Link), und seitdem wird es durch Zeitungen, Zitatsammlungen, in Werbefilmen und im Internet verbreitet. 

Es ist neben dem Spruch, "Österreich ist von Deutschland durch die gleiche Sprache getrennt", das beliebteste Karl-Kraus-Kuckuckszitat und wurde schon von vielen Karl-Kraus-Philologen vergeblich in der "Fackel" gesucht.

Varianten, die ab 1974 irrtümlich Karl Kraus zugeschrieben werden:

  • "Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen auch Zwerge lange Schatten."
  • "Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten."
  • "Auch Zwerge werfen lange Schatten."  
  • "Wie tief ist die Sonne unseres Zeitalters gesunken, wenn solche Pygmäen solche Schatten werfen!"
  • "When the sun of culture is low, even dwarves will cast long shadows."

Kurioser Weise gibt es inzwischen vom Marix Verlag einen unseriösen Karl-Kraus-Sammelband mit dem Titel "Auch Zwerge werfen lange Schatten ...", der nicht von diesem Autor (Link) stammt, sondern ihm nur jahrzehntelang unterschoben wurde.

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Varianten ohne Zuschreibung an Karl Kraus:

  • "When pygmies cast such long shadows, it must be very late in the day." 
    Gian-Carlo Rota, 1985
  • "Wenn Zwerge lange Schatten werfen, muss es spät am Tag sein."
    Gian-Carlo Rota


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Quellen:
Google
Melchior Kirchhofer: Schweizer Sprichwort, Wahrheit und Dichtung: Sammlung Schweitzerischer Sprüchwörter, 1824, S. 242 (Link) 
Karl Friedrich Wilhelm Wander: Deutsches Sprichwörter-Lexikon, 3. Bd. Lehrer bis Satte,  F.A. Brockhaus, Leipzig: 1873 S. 391 (Link)
Friedrich Rückert's gesammelte Poetische Werke in zwölf Bänden. 6. Band,  Sauerländer's Verlag, Frankfurt am Main; 1868,  S. 53 (Link) 
Alfred Polgar: "Der Ruf des Lebens", Die Schaubühne, 5. Jahrgang, Nr. 53, 30. Dezember 1909, 2. Band, S. 713-717, S. 715 (Link)
Ulrich Weinzierl: "Er war Zeuge. Alfred Polgar", Löcker u. Wögenstein, Wien: 1978 S. 27 

Robert Sedlaczek: "Entlarvt: Der falsche Karl Kraus",  "Wiener Zeitung", 9. Januar 2007
Robert Scheu: "Gedanken", in: "Das Tage-Buch", hrsg. von Stefan Großmann,  20. März 1926, Heft 12, Jg. 7, Berlin: 1926,  S. 464 (Link)
Julian Nordhues, Twitter 21. März 2018 (Link)  
Joseph J. Kohn: Rembering Gian-Carlo Rota, in: Ernesto Damiani, Ottavio D’AntonaVincenzo Marra, Fabrizio Palombi: "From Combinatorics to Philosophy: The Legacy of G.-C. Rota", Springer, New York: 2009, S.18
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Beispiele für falsche Zuschreibungen an Karl Kraus:
zitate-online.de
gutzitiert.de
Erstmals 1974: Markus  R. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott, Thun: 1974, S. 66  (Link)
Karl Kraus: "Auch Zwerge werfen lange Schatten: Sprüche und Widersprüche", Vorwort: Bruno Kern, matrixverlag, Wiesbaden: 2016 (Link)
Hans Werner Wüst: "Zitate u. Sprichwörter" , Bassermann, München: 2010 ebook
Marco Fechner:  "Das Zitatenbuch: Über 2.500 scharfzüngige und starke Sprüche in einem Lexikon der Pointen" 6. Auflage 2013, matrixverlag, Wiesbaden: 2014, ebook
 W. C. J. Koot, I. H. J. Sabelis, S. B. Ybema. Contradictions in Context. Puzzling over Paradoxes in Contemporary Organizations. VU University Press, Amsterdam 1996, S. 49 (Link)

zeit.de/2016/50/nachbarschaftsstreit-faelle-gericht-laermbelaestigung-rechtsschutz-nachbarn
welt.de/sport/boxen/article134399664/Gibraltar-war-ein-groesseres-Kaliber-als-dieser-Pulev.html 

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Im November 2000 habe ich die Frage nach dem Autor des Zitats, die Giesbert Damaschke an die  Karl-Kraus-Mailingliste weiterleitete, so beantwortet: de.rec.buecher
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Dank:
Für die Hinweise auf Rückert und Polgar danke ich Sigurd Paul Scheichl und für den Hinweis auf Robert Scheu Julian Nordhues.

Korr. Fassung 14. April 2018 






Samstag, 15. April 2017

"Ich kann kein Ei legen, aber ich weiß, wann eines faul ist.“ Karl Kraus (angeblich)

Variante: "Man muss kein Ei / keine Eier legen können, um zu wissen, dass eines faul ist." Seit 1946 ist das anonyme Scherzwort in verschiedenen Versionen nachzuweisen.

Seit Henryk M. Broder vor 10 Jahren das Zitat in einem Interview mit Oliver Grimm und Rainer Nowak in  "Die Presse" erstmals Karl Kraus unterschoben hat, wird es ihm gelegentlich auch von anderen zugeschrieben. Das Zitat steht weder so noch so ähnlich in einem Text von Karl Kraus.

Der Schauspieler Herwig Seeböck sagte in einem Interview 2006: "Verbittert bin ich nur manchmal, wenn ich Dinge sehe, die man besser machen könnte, und ich kann sie nicht mehr machen; ich weiß nur, wie's geht. Ich bin keine Henne; ich kann kein Ei legen, ich kann nur noch feststellen, wenn's faul ist". (ORF.at)

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Quellen:
Ohne Zuschreibung an KK:
1946: "Pandora", Aegis Verlag, 1946, S. 82 (Link)

1951:  books.google.
1988: Kerr zugeschrieben (Link),
 Zuschreibung an KK:
Brok vs. Broder:  "Wie sinnlos ist das EU-Parlament wirklich?" Die Welt, 17. Mai 2014 (Link)

Samstag, 8. April 2017

"Mein Herr, wenn Sie nicht schweigen, werde ich Sie zitieren." Karl Kraus (angeblich)

Das ist eines der von Henryk M. Broder erfundenen, oder von ihm leichtgläubig übernommenen Pseudo-Karl-Kraus-Zitate, für die es keinerlei Nachweise in den Schriften von Karl Kraus gibt. Broders falsche Karl-Kraus-Zitate - das muss einem der Neid lassen - sind recht erfolgreich, und manche pflanzen sich hundertfach auf Papier und im Internet fort.

Ein Börne-Preisträger sollte es aber nicht notwendig haben, seine Sprüche mit dem Namen "Karl Kraus" zu pimpen.

Das Zitat wurde anscheinend am 17. 7. 1998 in einem  Gespräch mit Andreas Bönte von Henryk M. Broder erstmals irrtümlich Karl Kraus zugeschrieben, und vier Jahre später dient es Broder als Motto auf der ersten Seite seines Buchs: "Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und der Terror".  Dieses Broder-Kraus-Zitat hat es noch in keine Online-Zitatesammlung geschafft und wurde bis heute erst von etwa 40 Personen (110 "Google Ereignisse") in diversen Medien Karl Kraus zugeschrieben.
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Ich danke Tobias Blanken für seinen Hinweis mit diesem Tweet.

Freitag, 7. April 2017

"Was trifft, trifft auch zu." Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.

Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.
Das angebliche Karl-Kraus-Zitat "Was trifft, trifft auch zu" ist eine Verkürzung des Aphorismus "Was nicht trifft, trifft auch nicht zu", den der österreichisch-israelische Schriftsteller Elazar Benyoëtz in seinem 1977 erschienenem Buch "Worthaltung: Sätze und Gegensätze" (Link) geprägt hat und der irrtümlich seit 1978 Karl Kraus untergeschoben wird.

In den Werken von Karl Kraus ist dieser Aphorismus weder so noch so ähnlich zu finden.

Seit dem Jahr 2007 wird dieser angebliche Karl-Kraus-Aphorismus auch in der Version "Was trifft, trifft auch zu" verbreitet und ist inzwischen bei manchen Journalisten so beliebt, dass sie ihn auf Twitter ein Dutzend Mal wiederholen.

In der verkürzten Version hat dieser Aphorismus die Bedeutung, "alles was kränkt, ist wahr", was unsinnig ist. Es gibt zweifelsohne schmerzliche Wahrheiten, aber Beleidigungen zum Beispiel kränken ja oft, weil sie unwahre, lediglich herabsetzende Eigenschaften zuschreiben.


Kurze Geschichte des Kuckuckszitats:

Elazar Benyoëtz hat das Zitat in seinem Buch "Worthaltung. Sätze und Gegensätze" 1977 im Münchner Carl Hanser Verlag veröffentlicht: 

1977
  • Elazar Benyoëtz: "Was nicht trifft, trifft auch nicht zu." 
Hans Weigel rezensiert das Buch von Elazar Benyoëtz in der FAZ
mit einem Hinweis auf Karl Kraus.

1977 
  • "Von naheliegender Beeinflussung durch Karl Kraus (den er gewiß kennt) hält er sich weitgehend fern. Nur ganz wenige seiner Sätze könnten von Kraus sein ('Was nicht trifft, trifft auch nicht zu')." (Link)
Die Feststellung von Hans Weigel in der FAZ, der Aphorismus könnte von Karl Kraus sein, hat vielleicht dazu geführt, dass Oskar Negt und einige andere irrtümlich meinten, der Aphorismus sei tatsächlich von Karl Kraus. 

1978
  • "Karl Kraus hat einmal gesagt: 'Was nicht trifft, trifft auch nicht zu.'"
    Arbeiterbildung: soziologische Phantasie u. exemplarisches Lernen in Theorie, Kritik u. Praxis. Hrsg. von Oskar Negt, Hans-Dieter Müller und Adolf Brock, Rowohlt, rororo Sachbuch, Reinbek bei Hamburg: 1978, S. 84  (Link)

1984

  • Oskar Negt: "Wenn Karl Kraus sagt : 'Was nicht trifft , trifft auch nicht zu', dann meint er genau diese durch parteilichen Eingriff in die Verhältnisse vermittelte Wahrheitsfindung." (Link) 

1987
  • "Dem Satz von Karl Kraus: 'Was nicht trifft , trifft auch nicht zu', gebe ich einen hohen Erkenntniswert . (Link)

1993 behauptet Oskar Negt in einer Laudatio im SPIEGEL, Rudolf Augstein sei ein "Geistesverwandter" von Karl Kraus und beiden gemeinsam sei das von Kraus formulierte Prinzip: "Was nicht trifft, trifft auch nicht zu".

1994

  • "Karl Krauss, gewiß einer der schärfsten Zuspitzer und galligsten Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft, hat einmal gesagt: 'Was nicht trifft, trifft auch nicht zu."
    Wilhelm-Busch-Gesellschaft": Wilhelm-Busch-Jahrbuch 1994, S. 134 (Link) 

1994

  • "'Nur was trifft, trifft auch zu' (Sonnemann )"  (Link)
In seiner Autobiographie wundert sich Elazae Benyoëtz, dass sein Satz "Was nicht trifft, trifft auch nicht zu"  Karl Kraus zugeschrieben wird:

2001

  •  "Der Satz, hier Karl Kraus großartig zugeschrieben, ist unleugbar von mir und in meinem Buch Worthaltung (1977) nachzulesen."
    Elazar Benyoëtz: "Allerwegsdahin: mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche. "Arche, Zürich : 2001, S. 215 (Link) [zitiert nach Bernd-Christoph Kämper]

2007 verkürzte Henryk M. Broder diesen Aphorismus und verteidigte mit dem falschen Karl-Kraus-Zitat "Was trifft, trifft auch zu"  die Moderatorin Eva Herman, und 2010 verteidigt er damit Thilo Sarrazin im SPIEGEL gegen den Vorwurf, rassistisch zu argumentieren.


Auch der deutsche Journalist Jan Fleischhauer beruft sich auf diese angeblichen Maxime von Karl Kraus, wie seine Vorgänger ohne jede Quellenangabe: 

2012

  • "Ansonsten halte ich mich an den Satz von Karl Kraus: 'Was trifft, trifft auch zu.' Daran gemessen kann nicht alles verkehrt sein, was ich im Folgenden an Texten findet - das ist jedenfalls die Hoffnung, an der ich mich festhalte."
    Jan Fleischhauer: "Der schwarze Kanal: Was Sie schon immer von Linken ahnten, aber nicht zu sagen wagten" Rowohlt Digitalbuch, Reinbek bei Hamburg: 2012, Vorwort (Link)

Den Angestellten des vielgerühmten SPIEGEL-Archivs fällt weder auf, dass der SPIEGEL im Abstand von 14 Jahren zwei verschiedene Versionen des angeblichen Kraus-Zitats druckte, noch, dass beide Versionen in den Schriften von Karl Kraus nicht zu finden sind.

2016 kritisiert Broder mit diesem falschen Karl-Kraus-Zitat den Öffentlichen Rundfunk und den ARD:

  •  "Was den Vorwurf der 'Lügenpresse' angeht, so hat Karl Kraus schon das Notwendige dazu gesagt: 'Was trifft, trifft auch zu!'" 

2019

  • "'Was trifft, trifft zu', sagte einst der große Österreicher Karl Kraus. Legt man seinen Leitspruch an als Maßstab für viele aufgeregte Reaktionen und die Empörungskultur unserer Zeit, gerade im Internet, tun sich wahre Abgründe auf – die Hysterie wäre dann oft auch Offenbarungseid. Frei nach Freud: Je tiefer jemand etwas in sich selbst verdrängt hat, umso größer der Unmut auf andere, die eben das aussprechen."
    Boris Reitschuster: "Wehe, man macht einen Witz über die 'maasive Blase'."
     20. Mai 2019 (tichyseinblick.de)


Seit 2019 hat sich der Journalist Boris Reitschuster mit dem Pseudo-Karl-Kraus-Zitat mehr als ein Dutzend Mal auf Twitter gegen Kritikerinnen verteidigt.

Mit der Autorität des Namens Karl Kraus kann man also Rudolf Augstein, Eva Herman und Thilo Sarrazin loben und verteidigen, den Öffentlichen Rundfunk kritisieren und jahrelang bemerkt niemand, dass das Zitat gar nicht von Karl Kraus ist.- 

 

Das Zitat wird auch vereinzelt fälschlich  Walter Benjamin und Kurt Tucholsky zugeschrieben.


Artikel in Arbeit.
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Elazar Benyoëtz:  "Worthaltung: Sätze und Gegensätze." Carl Hanser, München: 1977, S. 9  (Link) [Zitiert nach Bernd-Christoph Kämper]
Elazar Benyoëtz: "Allerwegsdahin: mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche. "Arche, Zürich : 2001, S. 215 (Link) [Zitiert nach Bernd-Christoph Kämper]

Henryk M. Broder: "Alvin Rosenfeld: Aus kritischer Distanz" 3. März 2007 (henryk-broder.com)
Henryk M. Broder: "Thilo und die Gene. Streitfall Sarrazin: Haben eigentlich alle dasselbe Zeug gekifft?" Der Spiegel, 36/2010, 6. September 2010 (SPIEGEL)
Henryk M. Broder: "Nehmt Euch in Acht vor den Propagandamedien!"  4. Mai 2016  (achgut.com) 
Jan Fleischhauer: "Der schwarze Kanal: Was Sie schon immer von Linken ahnten, aber nicht zu sagen wagten" Rowohlt Digitalbuch, Reinbek bei Hamburg: 2012, Vorwort (Link)
Boris Reitschuster: "Wehe, man macht einen Witz über die 'maasive Blase'." 20. Mai 2019 (tichyseinblick.de)



Seite WikiMANNia zugeschrieben. 

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Dank:

Tobias Blanken und Michael Gunzcy verdanke ich den Twitter-Hinweis auf dieses Falschzitat. Besonders danke ich Bernd-Christoph Kämper und M. Wollmann für den Hinweis auf Elazar Benyoëtz.

 

Letzte Änderung: 20/2 2021; 5/2 2023 (Alle Benyoëtz-Zitate dank Kämper.)

Mittwoch, 5. April 2017

"Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles zehn Jahre später." Karl Kraus (angeblich)

Pseudo-Gustav-Mahler-Zitat.

Dieser alte Berliner Witz wird irrtümlich Karl Kraus, Gustav Mahler und in einigen Varianten auch Bismarck, Hegel, Heinrich Heine, Abraham Lincoln und Mark Twain zugeschrieben.


1837 

  • "Was wirst Du machen, wenn die Welt untergeht?" - "Da gehe ich nach Königsberg, da kommt Alles 50 Jahre später!"
    Berliner Witz, 1837
    In: Neue Zeitschrift für Musik, Mainz, 12. Dezember 1837, Anno



Neue Zeitschrift für Musik, Mainz, 12. Dezember 1837, S. 188 Anno


Varianten: 


1) "Wenn die Welt untergeht, sollte man nach Mecklenburg gehen, da passiert alles 100 Jahre später."  Bismarck (angeblich)

2) "Beim Weltuntergang nach Rügen fahren. Denn auf Rügen geschehe alles 100 Jahre später."
Otto von Bismarck (angeblich)

3) "Wenn die Welt untergeht, sollte man ins Waldviertel reisen. Dort passiert alles erst 30 Jahre später. (Altniederösterreichische Weisheit, (angeblich))

4) "Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 100 Jahre später." 
Abraham Lincoln (angeblich)

Pseudo-Gustav-Mahler-Zitat.

5) "Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 50 Jahre später."
Gustav Mahler (angeblich)

6) "Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 20 Jahre später." 
Gustav Mahler (angeblich)

7) "Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles zehn Jahre später."
   Karl Kraus (angeblich)

  • "A seniour citizen of Lousiana was overheard saying: 'When the end of the world comes, I hope to be in Louisiana.' When asked why, he replied, 'I'd rather be in Louisiana 'cause everythang happens in Louisiana 20 years later than in the rest of the world'." (Link)
 
  • "Regarding the year 2000, a senior at University of Vermont was overheard saying "when the end of the world comes, I hope to be in "Vermont." When asked why, he stated that everything happens here 20 years later than the rest of the civilized world." (Link)
  • "'When the end of the world comes, I want to be in Cincinnati. Everything happens 10 years later there.' Attributed to Mark Twain" (Link)
  • "Wasn't it Heine who once said that if the end of the world was nigh, he would immediately emigrate to Holland because everything happens 50 years later there?"   (Link)
  •  "At the end of the world, go to Bukhara,” the Druse once seriously advised him. “Everything happens fifty years later there." (Link)
  •  As Hegel put it: "If the end of the world is imminent go to the Netherlands: everything happens there 50 years later!" (Link)

  • "In the nineteenth century the German poet Heinrich Heine remarked that if the end of the world were announced he would go to Holland because everything happens fifty years later there." (Link)
  • "Many citizens in the south of the GDR during the Wende seemed to believe in Bismarck's alleged dictum: 'If the end of the world is nigh, I'll go to Mecklenburg WestPomerania, for everything happens there 100 years later than elsewhere."  (Link)
  • "'When the end of the world comes, I shall go to Mecklenburg because there everything happens a hundred years later.' Otto von Bismarck" (Link) 
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Quelle:
Google
Neue Zeitschrift für Musik,  7. Band, Nr. 47, Mainz: 12. Dezember 1837,  S. 188 Anno

Artikel in Arbeit.
23/3 2020

Dienstag, 4. April 2017

"Mut ist, was es braucht, um aufzustehen und seine Meinung zu sagen. Mut ist auch, was es braucht, sich hinzusetzen und zuzuhören." Winston Churchill (angeblich)

 Dieses Pseudo-Churchill-Zitat wurde Winston Churchill etwa zehn Jahre nach seinem Tod erstmals unterschoben und ist inzwischen sehr populär geworden.

Experten von der International Churchill Society haben diesen Satz weder so noch so ähnlich in einem Text oder Interview Churchills entdecken können (Link).

Winston Churchill hat also niemals Leute als mutig bezeichnet, weil sie sich niedergesetzt und zugehört haben.

Varianten des Pseudo-Churchill-Zitats 

  • "Courage is what it takes to stand up and speak; courage is also what it takes to sit down and listen."
  • "Mut ist, was es braucht, um aufzustehen und seine Meinung zu sagen. Mut ist auch, was es braucht, sich hinzusetzen und zuzuhören." 
  • "Mut heißt nicht immer aufzustehen und die Stimme zu erheben, sondern Mut kann auch bedeuten, sitzen zu bleiben, zuzuhören und erst mal nachzudenken."
  • "Mut braucht man, um aufzustehen und das Wort zu ergreifen; Mut braucht man auch, um sich hinzusetzen und zuzuhören."
  • "Es braucht Courage, aufzustehen und zu reden. Genauso braucht es Courage, sich hinzusetzen und zuzuhören."
  • "Mut ist, was dauert, aufzustehen und zu sprechen Mut ist auch, was braucht, um sich hinzusetzen und zuzuhören.(Dieser Satz wurde wohl von künstlicher Intelligenz übersetzt.)
 
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Quellen:
International Chuchill Society: "Quotes Falsely Attributed to Winston Churchill" (winstonchurchill.org): 'Courage is what it takes to stand up and speak; courage is also what it takes to sit down and listen.'  "This quote is very often attributed to Churchill but appears nowhere in the Churchill canon."
(Michael Richards: "History Detectives – Red Herrings: Famous Words Churchill Never Said", The International Churchill Society,  winstonchurchill.org)

Frühe falsche Zuschreibung an Winston Churchill:
1976: Forbes, Band 118, 1976, S. 138 (Link)



Freitag, 23. November 2007

"Das Alter zieht lange Schatten, länger als das Leben selbst." Karl Kraus (angeblich)


Mein Google Alert mit dem Stichwort "Karl Kraus" brachte gerade (27. November 2007) folgende Meldung der Südwest Presse (Baden-Württenberg):

  • "Hellmuth Karasek legt sich mit dem Alter an.
    Der renommierte Publizist charakterisiert das Leben als Fallbeispiel, solange man eben lebt. Der Autor zitiert in seinem Buch historische Größen mit derselben Leidenschaft wie den unscheinbaren Nachbarn. Auf den Tisch kommen Karl-Kraus-Zitate, etwa 'das Alter wird deutlich, wenn man im Oktober spazieren geht' oder 'das Alter zieht lange Schatten, länger als das Leben selbst.'"

Beide Zitate stammen weder so, noch so ähnlich von Karl Kraus.

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Quelle:
 Südwest Presse (Baden-Württenberg), 27. November 2007 (Nicht mehr Online)

Donnerstag, 15. November 2007

"Sah ein Knab' ein Höslein weh'n, - Höslein unter'm Kleide!" Karl Kraus (angeblich)

Die Nachrichtenseite ka-news.de Karlsruhe brachte unter der Überschrift "Haralds Hörstunde" und "Das Seidenhöslein" folgende Meldung:


Unter dem Titel "Das Seidenhöslein" stellt Harald Schwiers in seiner "Hörstunde" am Donnerstag, 1. November, Parodie gegen Original. Seidenhöslein?
Aber ja doch: "Sah ein Knab' ein Höslein weh'n, - Höslein unter'm Kleide!" Das erotische Röslein, einst von Goethe erdacht, war von Karl Kraus. Wer hätte das gedacht...



Mhm. Die Veralberung von Goethes 'Heidenröslein' ist zwar in der 'Fackel' abgedruckt, stammt aber nicht von Karl Kraus, wie jeder wissen könnte, der sich an Karl Kraus' Abscheu vor jeder Verulkung von Goethes Gedichten erinnert:


Weit entsetzlicher ist es, wenn sich die Pranken dieses Untiers an lyrischen Kunstwerken vergreifen, um sie für den Bedarf ihrer Geilheit oder Scherzhaftigkeit »anzuwenden«. In einem der Organe derHurenbelletristik, die es jetzt gibt, hat einer kürzlich die neckische Variante »Sah ein Knab ein Höslein wehn« ersonnen und wirklich durchgeführt, und »Über allen Gipfeln ist Ruh« bleibt nun einmal das Motiv sämtlicher bürgerlichen Berufe, die dem Inhaber Zeit für Allotria lassen.
("Die Fackel", Nr. 686, 1925, S. 20)



Das Seidenhöslein
(Chanson nach Goethe)


Sah ein Knab’ ein Höslein weh’n,
— Höslein unter’m Kleide!
War so weiß und blütenschön,
Knisterte beim Geh’n und Dreh’n,
War von feinster Seide!
Höslein, Höslein, Höslein weiß!
Höslein unter’m Kleide!

Und der Knabe lief hinzu —
— Höslein unter’m Kleide!
Höslein machte leis’: Frou frou!
Sei nur nicht zu schüchtern, du,
Denn ich bin von Seide!
Höslein, Höslein, Höslein weiß!
Höslein unter’m Kleide!
[...]

Autor: unbekannt.
(Nachgedruckt in der 'Fackel' Nr. 697, 1925, S. 66)