Pseudo-Karl-Kraus-Zitat. |
In den Werken von Karl Kraus ist dieser Aphorismus weder so noch so ähnlich zu finden.
Seit dem Jahr 2007 wird dieser angebliche Karl-Kraus-Aphorismus auch in der Version "Was trifft, trifft auch zu" verbreitet und ist inzwischen bei manchen Journalisten so beliebt, dass sie ihn auf Twitter ein Dutzend Mal wiederholen.
In der verkürzten Version hat dieser Aphorismus die Bedeutung, "alles was kränkt, ist wahr", was unsinnig ist. Es gibt zweifelsohne schmerzliche Wahrheiten, aber Beleidigungen zum Beispiel kränken ja oft, weil sie unwahre, lediglich herabsetzende Eigenschaften zuschreiben.
Kurze Geschichte des Kuckuckszitats:
- Elazar Benyoëtz: "Was nicht trifft, trifft auch nicht zu."
- "Von naheliegender Beeinflussung durch Karl Kraus (den er gewiß kennt) hält er sich weitgehend fern. Nur ganz wenige seiner Sätze könnten von Kraus sein ('Was nicht trifft, trifft auch nicht zu')." (Link)
- "Karl Kraus hat einmal gesagt: 'Was nicht trifft, trifft auch nicht zu.'"
Arbeiterbildung: soziologische Phantasie u. exemplarisches Lernen in Theorie, Kritik u. Praxis. Hrsg. von Oskar Negt, Hans-Dieter Müller und Adolf Brock, Rowohlt, rororo Sachbuch, Reinbek bei Hamburg: 1978, S. 84 (Link)
1984
- Oskar Negt: "Wenn Karl Kraus sagt : 'Was nicht trifft , trifft auch nicht zu', dann meint er genau diese durch parteilichen Eingriff in die Verhältnisse vermittelte Wahrheitsfindung." (Link)
- "Dem Satz von Karl Kraus: 'Was nicht trifft , trifft auch nicht zu', gebe ich einen hohen Erkenntniswert . (Link)
1993 behauptet Oskar Negt in einer Laudatio im SPIEGEL, Rudolf Augstein sei ein "Geistesverwandter" von Karl Kraus und beiden gemeinsam sei das von Kraus formulierte Prinzip: "Was nicht trifft, trifft auch nicht zu".
1994
- "Karl Krauss, gewiß einer der schärfsten Zuspitzer und galligsten Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft, hat einmal gesagt: 'Was nicht trifft, trifft auch nicht zu."
Wilhelm-Busch-Gesellschaft": Wilhelm-Busch-Jahrbuch 1994, S. 134 (Link)
1994
- "'Nur was trifft, trifft auch zu' (Sonnemann )" (Link)
2001
- "Der Satz, hier Karl Kraus großartig zugeschrieben, ist unleugbar von mir und in meinem Buch Worthaltung (1977) nachzulesen."
Elazar Benyoëtz: "Allerwegsdahin: mein Weg als Jude und Israeli ins Deutsche. "Arche, Zürich : 2001, S. 215 (Link) [zitiert nach Bernd-Christoph Kämper]
2007 verkürzte Henryk M. Broder diesen Aphorismus und verteidigte mit dem falschen Karl-Kraus-Zitat "Was trifft, trifft auch zu" die Moderatorin Eva Herman, und 2010 verteidigt er damit Thilo Sarrazin im SPIEGEL gegen den Vorwurf, rassistisch zu argumentieren.
Auch der deutsche Journalist Jan Fleischhauer beruft sich auf diese angeblichen Maxime von Karl Kraus, wie seine Vorgänger ohne jede Quellenangabe:
2012
- "Ansonsten halte ich mich an den Satz von Karl Kraus: 'Was trifft, trifft auch zu.' Daran gemessen kann nicht alles verkehrt sein, was ich im Folgenden an Texten findet - das ist jedenfalls die Hoffnung, an der ich mich festhalte."
Jan Fleischhauer: "Der schwarze Kanal: Was Sie schon immer von Linken ahnten, aber nicht zu sagen wagten" Rowohlt Digitalbuch, Reinbek bei Hamburg: 2012, Vorwort (Link)
Den Angestellten des vielgerühmten SPIEGEL-Archivs fällt weder auf, dass der SPIEGEL im Abstand von 14 Jahren zwei verschiedene Versionen des angeblichen Kraus-Zitats druckte, noch, dass beide Versionen in den Schriften von Karl Kraus nicht zu finden sind.
2016 kritisiert Broder mit diesem falschen Karl-Kraus-Zitat den Öffentlichen Rundfunk und den ARD:
- "Was den Vorwurf der 'Lügenpresse' angeht, so hat Karl Kraus schon das Notwendige dazu gesagt: 'Was trifft, trifft auch zu!'"
2019
- "'Was trifft, trifft zu', sagte einst der große Österreicher Karl Kraus. Legt man seinen Leitspruch an als Maßstab für viele aufgeregte Reaktionen und die Empörungskultur unserer Zeit, gerade im Internet, tun sich wahre Abgründe auf – die Hysterie wäre dann oft auch Offenbarungseid. Frei nach Freud: Je tiefer jemand etwas in sich selbst verdrängt hat, umso größer der Unmut auf andere, die eben das aussprechen."
Boris Reitschuster: "Wehe, man macht einen Witz über die 'maasive Blase'." 20. Mai 2019 (tichyseinblick.de)
Seit 2019 hat sich der Journalist Boris Reitschuster mit dem Pseudo-Karl-Kraus-Zitat mehr als ein Dutzend Mal auf Twitter gegen Kritikerinnen verteidigt.
Mit der Autorität des Namens Karl Kraus kann man also Rudolf Augstein, Eva Herman und Thilo Sarrazin loben und verteidigen, den Öffentlichen Rundfunk kritisieren und jahrelang bemerkt niemand, dass das Zitat gar nicht von Karl Kraus ist.-
Das Zitat wird auch vereinzelt fälschlich Walter Benjamin und Kurt Tucholsky zugeschrieben.
Artikel in Arbeit.
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Seite WikiMANNia zugeschrieben.
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Dank:
Tobias Blanken und Michael Gunzcy verdanke ich den Twitter-Hinweis auf dieses Falschzitat. Besonders danke ich Bernd-Christoph Kämper und M. Wollmann für den Hinweis auf Elazar Benyoëtz.
Letzte Änderung: 20/2 2021; 5/2 2023 (Alle Benyoëtz-Zitate dank Kämper.)