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Mittwoch, 8. Juli 2020

"Jeder spinnt auf seine Weise – der eine laut, der andere leise." Joachim Ringelnatz (angeblich)

Pseudo-Joachim-Ringelnatz-Zitat.
Dieser Reim wurde dem 1934 verstorbenen Autor und Künstler Joachim Ringelnatz  70 Jahre nach seinem Tod ohne Quellennachweis erstmals unterschoben.

In seinen Texten ist dieses Zitat nicht zu finden, wie auch Birthe Preuß, die  Mitarbeiterin des Joachim-Ringelnatz-Museums, per E-Mail bestätigt hat.

Kurze Geschichte des Kuckuckszitats:

Die Wendung, "der eine laut, der andere leise", ist als humoristische Floskel seit 1819 (der eine schnarcht laut, der andere leise) belegbar.

1845

1938

Der Reim aus dem 19. Jahrhundert bekommt durch Hans Robinger, der Texte für Songs der Comedian Harmonists schrieb, seine heutige Form; statt dem Verb "spinnt" steht aber noch das Verb "lacht". 

Der Lachfoxtrot [!] der Comedian Harmonists ("Das Meistersextett") beginnt mit folgendem Vers:
  • "Jeder lacht auf seine Weise – der eine laut der ander leise ..."

    Text: Hans Robinger; Musik: Peter Igelhoff
    [Youtube: ab 0:55]



1948
1974

Der  DDR-Autor Helmut Baierl plagiiert oder zitiert in dem Stück "Die Lachtaube" (1974) den Reim aus dem "Lachfoxtrot" der Comedian Harmonists:

    Der Technikhistoriker Ralf Bülow hat herausgefunden, dass anscheinend der Autor Horst Bosetzky in dem Kriminalroman  "Friedrich der Große rettet Oberkommissar Mannhardt" den 2 Jahrzehnte später Joachim Ringelnatz unterschobenen Aphorismus im Jahr 1985 geprägt hat.


    1985

    Frühe falsche Zuschreibungen an Joachim Ringelnatz:

    2009


    Screenshot, Juli 2020:


    Pseudo-Joachim-Ringelnatz-Zitat.



    Artikel in Arbeit.
    _____
    Quellen:
    E-Mail von Birthe Preuß vom 9. Juni 2020
    (Bibliographie folgt.)

    Beispiele für falsche Zuschreibungen:
    "Zitate von Joachim Ringelnatz" , Augsburger Allgemeine, 16. November 2009 (augsburger-allgemeine.de)

    _____
    Dank:
    Ich danke Ralf Bülow für die Entlarvung dieses Kuckuckszitats und  Birthe Preuß für die Bestätigung, dass dieser Reim in den Gesammelten Schriften von Joachim Ringelnatz nicht vorkommt.

      Sonntag, 30. September 2018

      "Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten." Rabindranath Tagore (angeblich)

      Pseudo-Rabindranath-Tagore-Zitat.

      Dem bengalischen Dichter und Philosophen Rabindranath Tagore, dem ersten nicht europäischen Nobelpreisträger für Literatur, werden die Verse, "Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten", auf Deutsch seit 1961 zugeschrieben, auf Englisch erst Jahrzehnte später. Die Verse stammen aber so ähnlich vom deutschen Autor, Kabarettisten und Maler Joachim Ringelnatz.

      Der Garten ist eine alte Metapher für das Paradies und nicht erst durch Voltaire wurde er eine Metapher für das geglückte Leben. 
      • Genesis 2:15
        "Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn baute und bewahrte." 
      Am Ende von Voltaires Roman "Candide" erinnert ein kleiner türkischer Obstbauer den Optimisten Pangloss, den Pessimisten Martin und den Ex-Optimisten Candide an die Lebensweisheit, dass nur die Arbeit "drei große Übel von uns fernhalte: Langweile, Laster und Not." 

      Alle drei stimmen dem zu, und Martin schlägt vor: "Lasst uns arbeiten ohne nachzudenken, das ist das einzige Mittel, das Leben erträglich zu machen".  Der Roman endet nach einer letzten Schönrednerei von Pangloss mit dem berühmten letzten Satz: "'Sehr richtig', sagte Candide, 'aber wir müssen unseren Garten bestellen'" ("Cela est bien dit, répondit Candide, mais il faut cultiver notre jardin"). 

      1931 publiziert Joachim Ringelnatz ein Kindergedicht mit dem Titel "Kinder weinen":
      • "Kinder weinen.
         Narren warten.
         Dumme wissen.
         Kleine meinen.
         Weise gehen in den Garten."
        Joachim Ringelnatz,
        "Kinder-Verwirr-Buch", 1931

      Entwicklung des angeblichen Rabindranath-Tagore-Zitats:


      20 Jahre nach Rabindranath Tagores Tod stand in der Zeitschrift "Wissenschaft und Weltbild":

      1961
      • Er (Tagore) dachte hier wie Haiku: „Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten." Eben, um sich zu versenken und zu betrachten. Das Leitbild, das ihn aus Indien inspirierte, führte in die Tiefe des sich Versenken können.  (Link)

      Hier wird also noch nicht behauptet, Rabindranath Tagore habe diesen Aphorismus geprägt, sondern nur, er würde am besten seine Lebensphilosophie zusammenfassen. Vor 1961 ist diese Zuschreibung an indischen Nobelpreisträger in den digitalisierten Texten weder auf Deutsch noch auf Englisch zu finden.

      Fünf Jahre später, war man sich schon sicher, die Verse stammten von Tagore:


      1966
      • Rudolf Dobersch hat frühzeitig bei dem indischen Dichter Tagore einen Ausspruch gefunden, der ihm der Schlüssel zur wahren Lebensweisheit zu sein scheint, nämlich: 'Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.' (Link)
      Seitdem wird der gereimte Aphorismus fast immer  Rabindranath Tagore zugeschrieben. Nach den digitaliserten Quellen zu beurteilen, hat er ihn aber selbst so nie gesagt.

      Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass er nicht doch noch einmal in einem nicht digtalisierten Werk Tagores gefunden wird, halte es aber für eher unwahrscheinlich und glaube, korrekter Weise müsste man den  schönen Aphorimus als Variante des Kindergedichts "Kinder weinen" von Joachim Ringelnatz bezeichnen.  

      Fest steht, dass bisher noch niemand eine seriöse Quelle zu diesem Zitat in den aus dem Bengalischen übersetzten Schriften Rabindranath Tagores publiziert hat.


      Varianten: 

      • Kinder weinen. Narren warten. Dumme wissen. Kleine meinen. Weise gehen in den Garten. - 1931
      • Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten. - 1961
      • Dumme laufen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten
      • Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen durch den Garten.
      • Narren hasten, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.
      • Fools hurry, the clever wait, the wise enter into the garden-gate. - 1989 
      • The dumb run, the clever wait, the wise go into the garden. - 2012

       ________
      Quellen:
      Joachim Ringelnatz: "Kinder-Verwirr-Buch", 1931, in: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 2: Gedichte, Zürich: 1994, S. 17 (vorerst zitiert nach zeno.org)
      Ian Jack: "Rabindranath Tagore was a global phenomenon, so why is he neglected?", The Guardian, 7. Mai 2011 (Link)  
      Tagores Werke wurden aus dem Englischen ins Deutsche übertragen.
      Rabindranath Tagore: THE GARDENER Translated by the author from the original Bengali , 1915 (Link)

      groups.google 
      http://www.tagoreweb.in/
      (Link) S. 367

      _____
      Artikel in Arbeit.
      (Link)

      (Link)  S. 83 Rorormono

      ______
      Ich danke Ralf Bülow für seine Hinweise.

      Samstag, 16. September 2017

      "Dunkel war's, der Mond schien helle ..." Joachim Ringelnatz (angeblich)

      Dieses Zitat stammt weder von Joachim Ringelnatz (Link) noch von Christian Morgenstern, sondern aus einem anonymen Kindergedicht, das schon vor 130 Jahren (Link) (Link) weit verbreitet war. Das Nonsensgedicht aus lauter Oxymora gibt es in Dutzenden Versionen mit vielen Zusatzsstrophen und wird irrtümlich auch anderen Autoren unterschoben.

      Ralph Babel hat auf seiner informativen Seite diverse Varianten dieser wahrscheinlich immer noch bekanntesten Oxymora  übersichtlich dokumentiert: "Dunkel war's, der Mond schien helle", Varianten von 1875 bis 2005  (Link).  Deswegen bringe ich hier nur eine kurze Fassung dieser anonymen Verse, die meistens mit: "Dunkel war's, der Mond schien helle" beginnen; mir gefällt "Finster war's ..." besser.

      "Finster war’s, der Mond schien helle,
      schneebedeckt die grüne Flur,
      als ein Wagen blitzesschnelle
      langsam um die Ecke fuhr.

      Drinnen saßen stehend Leute,
      schweigend ins Gespräch vertieft.
      als ein totgeschossener Hase
      auf der Wiese Schlittschuh lief."
      Anonym (Nach der Fassung von James Krüss.)

      Sämtliche 12 Strophen in der Bearbeitung von Volker Gringmuth findet man auf seiner Webseite hier.
      Varianten von 1875 bis 2005: (Link).
      ________
      Quellen:
      "Neue Zeitschrift für Musik", 15. Januar 1886, S. 27 (Link)
      "Wiener Montags-Journal", 10. Mai 1885, S. 3 (Link)
       Ralph Babel: "Dunkel war's, der Mond schien helle", Varianten von 1875 bis 2005, 2006ff.?  (Link). 
      Volker Gringmuth: "Quatschgedicht -  Dunkel war’s, der Mond schien helle ...", 2005 (Link)
      Wikipedia
      Wikisource