Donnerstag, 24. Mai 2018

"Gott sei's gedankt, in der nächsten Welt wird es keinen Kaffee geben. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als auf Kaffee zu warten, wenn er noch nicht da ist." Immanuel Kant (angeblich)


Entstelltes Immanuel-Kant-Zitat.
In seinen letzten Lebensjahren war der Königsberger Philosoph Immanuel Kant verwirrt, er sprach manchmal nur mehr undeutlich und aus dieser Zeit sind einige Aussprüche Kants über das  Kaffeetrinken überliefert, die später etwas verändert zitiert wurden.

  • 1804: "Nun, darüber kann ich sterben; und in jener Welt will ich keinen Kaffee trinken." 
  • 1827: "Well, one can die after all: it is but dying; and in the next world, thank God! there is no drinking of coffee, and consequently no — waiting for it."
  • 2015: "Gott sei's gedankt, in der nächsten Welt wird es keinen Kaffee geben. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als auf Kaffee zu warten, wenn er noch nicht da ist."

Immanuel Kant konnte in den letzten Jahren seines Lebens nicht mehr klar denken; er hat 1799 - fünf Jahre vor seinem Tod - seine Freunde gebeten, ihn nunmehr wie ein Kind zu behandeln.

Nach einem Sturz verzichtete er auch auf seine täglichen Spaziergänge und gestattete es sich in seinem letzten Lebensjahr Kaffee zu trinken, den er angeblich sein Leben lang schätzte, aber nie trank, da er das "Öl des Kaffees" für schädlich hielt.


Wie sein Schüler und Freund Wasianski berichtete, blieb auch der alte  Immanuel Kant weiter höflich und freundlich, aber er wurde extrem ungeduldig und jede Bitte sollte "auf der Stelle" erledigt werden. Eine Minute zu warten schien dem achtzigjährigen, altersdementen Kant wie eine Ewigkeit und es war nicht leicht für ihn, die Zeit zu ertragen, die vom Moment der Kaffeebestellung verging, bis der Kaffee endlich serviert und genug ausgekühlt war.

Aus diesem letzten Lebensjahr Kants sind einige seltsame Kaffee-Sprüche überliefert, die heute oft ohne den notwendigen Hinweis auf das problematisch gewordene Zeitgefühl des alten Philosophen zitiert werden.


Ehregott A. Ch. Wasianski: "Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren", 1804:


  • "Pfeilschnell eilte der Bediente, den Kaffee in das schon kochende Wasser zu schütten, ihn aufsieden zu lassen und heraufzubringen; doch währte ihm diese kurze dazu erforderliche Zeit unausstehlich lange. Auf jede Vertröstung erwiderte er etwas anderes, und war wegen Abänderung der Formeln nie verlegen.

    Sagte man: Der Kaffee wird gleich gebracht werden, so erwiderte er: „Ja, wird; das ist der Knoten, daß er erst gebracht werden wird". Hieß es: Er kommt bald! so fügte er hinzu: „Ja! bald, eine Stunde ist auch bald, und so lange hat es schon nach der Zeit gedauert, als es auch bald hieß". Endlich sagte er mit stoischer Fassung: 'Nun, darüber kann ich sterben; und in jener Welt will ich keinen Kaffee trinken'.

    Er stand auch wohl vom Tische auf und rief zur Türe hinaus, und das ziemlich verständlich: 'Kaffee! Kaffee!' Hörte er endlich den Diener die Treppe heraufkommen, so rief er jauchzend: 'Ich sehe Land!' wie der Matrose vom Mastkorbe.

    Auch das Kaltwerden des Kaffees erforderte eine für ihn zu lange Zeit, ob er gleich in mehrere Tassen umgegossen wurde. War er endlich zum Genuß völlig fertig, so hörte man auch wohl ein 'Heisa Courage meine Herren!', bei dessen Aussprache, besonders des zweiten Wortes, er das r aus Freude außerordentlich schärfte, und wenn alles genossen war, ein: 'Und hiermit Basta!' welchen Ausdruck er mit einem Tempo, mit dem er die Tasse stark hinsetzte, gewöhnlich begleitete."
Der englische Schriftsteller Thomas De Quincey hat die deutschsprachigen Erinnerungen der Freunde und Schüler von Immanuel Kant zu dem Buch "The Last Days of Immanuel Kant" verarbeitet, das sich weitgehend an die Vorlagen hielt, aber manche Zitate mit kleinen Zusätzen ergänzte.

Thomas De Quincey: "The Last Days of Immanuel Kant" 1827:


  • "Sometimes it would happen, that the interest of conversation carried him past the time at which he felt the craving for it; and this I was not sorry to observe, as I feared that coffee, which he had never been accustomed to, might disturb his rest at night. But, if this did not happen, then commenced a scene of some interest. Coffee must be brought ‘upon the spot,’ (a word he had constantly in his mouth during his latter days,) ‘in a moment.’ And the expressions of his impatience, though from old habit still gentle, were so lively, and had so much of infantine naïveté about them, that none of us could forbear smiling.

    Knowing what would happen, I had taken care that all the preparations should be made beforehand; the coffee was ground; the water was boiling; and the very moment the word was given, his servant shot in like an arrow, and plunged the coffee into the water. All that remained, therefore, was to give it time to boil up. But this trifling delay seemed unendurable to Kant. All consolations were thrown away upon him: vary the formula as we might, he was never at a loss for a reply. If it was said—‘Dear Professor, the coffee will be brought up in a moment.’—’Will be!’ he would say, ‘but there’s the rub, that it only will be: Man never is, but always to be blest.’  



  • If another cried out—‘The coffee is coming immediately.’—‘Yes,’ he would retort, ‘and so is the next hour: and, by the way, it’s about that length of time that I have waited for it.’ Then he would collect himself with a stoical air, and say—‘Well, one can die after all: it is but dying; and in the next world, thank God! there is no drinking of coffee, and consequently no—waiting for it.’ Sometimes he would rise from his chair, open the door, and cry out with a feeble querulousness—‘Coffee! coffee!’ And when at length he heard the servant’s step upon the stairs, he would turn round to us, and, as joyfully as ever sailor from the mast-head, he would call out—‘Land, land! my dear friends, I see land.’"
    (Link)
Der Wortlaut des heute verbreiteten Kant-Kaffee-Zitats scheint eine Rückübersetzung von Thomas des Quinceys' englischer Version zu sein.
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Quellen:
Google
C. A. Ch. Wasianski: "Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Ein Beitrag zur Kenntnis seines Charakters und seines häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgange mit ihm." (1804) In:   "Immanuel Kant. Ein Lebensbild nach Darstellungen der Zeitgenossen Jachmann, Borowski, Wasianski." Hrsg. von Alfons Hoffmann, Hugo Pfeffer, Halle a. S.: 1902, S. 326f. (Link)
Thomas De Quincey: "The Last Days of Immanuel Kant."  1827, eBooks@Adelaide: 2015 (Link)
Immanuel Kant: "Kant’s Gesammelte Schriften",  Akademieausgabe, Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin: 1900ff.  Reimer, ab 1922 de Gruyter; Elektronische Edition: Universität Duisburg 


2010: wachleute.de
2013:  leo.org/forum
(Korr. Fassung)

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