Carl Schmitt behauptet, sein Bonmot, "Wer Menschheit sagt, will betrügen", sei eine Modifikation von Proudhons Satz, "Wer Gott sagt, will betrügen." - Bisher hat allerdings noch niemand diesen Satz so oder so ähnlich in einer Schrift Proudhons gefunden.
Der gefeierte deutsche Rechtsgelehrte Carl Schmitt, der mit seinem vulgäranalytischen Bonmot Immanuel Kant oder den Autor der Letzten Tage der Menschheit, der ihm verhasst war, als heimliche Betrugs-Hilskräfte hinstellt, hat mit seiner falschen Zuschreibung an den Anarchisten Proudhon sich selbst und seine Leser - wahrscheinlich unabsichtlich - betrogen.
Und wenn Carl Schmitt sich ideologiekritischer und wahrheitsliebender präsentiert als jene angeblichen Betrüger-Rechtsphilosophen, die an der Kant'schen Idee der Menschheit festhalten, obwohl der Begriff Menschheit wie jeder Begriff propagandistisch mißbrauchbar ist, wirkt der unter Hitler und Göring virtuos praktizierende Opportunist Schmitt nicht sehr glaubwürdig, und sein Bonmot kommt mir nur so wahr vor wie seine Zuschreibung des Wer-Gott-sagt-will-betrügen-Aphorismus an Proudhon.
"Wer Carl Schmitt sagt, will ..." |
Carl Schmitt, 1932:
- "»Menschheit« ist ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansionen und in ihrer ethisch-humanitären Form ein spezifisches Vehikel des ökonomischen Imperialismus. Hierfür gilt mit einer naheliegenden Modifikation, ein von Proudhon geprägtes Wort: Wer Menschheit sagt, will betrügen. Die Führung des Namens »Menschheit«, die Berufung auf die Menschheit, die Beschlagnahme dieses Wortes, alles das könnte, weil man nun einmal solche erhabenen Namen nicht ohne gewisse Konsequenzen führen kann, nur den schrecklichen Anspruch manifestieren, daß dem Feind die Qualität des Menschen abgesprochen, daß er hors-la-loi und hors l'humanité erklärt und dadurch der Krieg zur äußersten Unmenschlichkeit getrieben werden soll."
- "Wenn heute der Name Gottes fällt, dann zitiert der Normal-Gebildete von heuzutage automatisch den Ausspruch Nietzsches: Gott ist tot. Andere, noch besser informiert, zitieren einen Ausspruch des französischen Sozialisten Proudhon, der dem Ausspruch Nietzsches um vierzig Jahre vorauseilt und behauptet: Wer Gott sagt, will betrügen."
- "Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst."
Quellen:
1785: Immanuel Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Kant Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff., AA IV, S. 429 (Link)
1932: Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen: Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. 7. Aufl., Duncker und Humblot, Berlin: 1991, S. 55 (Link)
1954: Carl Schmitt: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber. (1954), Klett Cotta, Stuttgart: 2008, S. 11 (Link)
Andreas Anter, Universität Bremen und Christoph Cornelißen, Goethe-Universität Frankfurt am Main, zum Beispiel, haben Schmitts Proudhon-Zitat auch nicht gefunden (Link), (Link).
Die meisten Bewunderer Carl Schmitts glauben ihm allerdings ohne seriösen Quellennachweis sein Proudhon-Zitat, so wie auch Peter Sloterdijk (Link).
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Anmerkung:
Das Zitat, "Eigentum ist Diebstahl", ist wirklich von Pierre-Joseph Proudhon.
In der Sekundärliteratur zu Carl Schmitt wird auch einige Male das "Wer-Menschhheit-sagt"-Bonmot Proudhon unterschoben, zum Beispiel hier: (Link), (Link).