Donnerstag, 21. Juni 2018

„Wenn alle das Gleiche denken, denkt keiner richtig." Georg Christoph Lichtenberg (angeblich)

Pseudo-Lichtenberg quote.
Das amerikanische Sprichwort "Where all think alike, no one thinks very much" wird im 21. Jahrhundert auf Deutsch irrtümlich dem Physiker, Mathematiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg zugeschrieben; laut Google Books taucht es erstmals in dem 1915 erschienen Buch "The Stakes of Diplomacy" des amerikanischen Autors und Journalisten Walter Lippmann auf.

Ob das Sprichwort wirklich von Walter Lippmann geprägt wurde, ist ungewiss. 

Mitteilungen der Lichtenberg-Gesellschaft, "Enten aus falscher Feder":

  • "'Wenn alle das Gleiche denken, denkt keiner richtig' ist anscheinend mal wieder so ein echt-falscher Lichtenberg! In der  NZZ  vom 24. Juni 2013 wählte Wirtschaftsredakteur Peter A.   Fischer diesen Satz als Motto für seinen Beitrag „Wettbewerb statt Denkverbote –   «Hayekianer» zu Euro, Recht und Religion”, in dem über die Tagung der Hayek-Gesellschaft  in Göttingen berichtet wurde, „dort, wo einst der Physiker Georg Christoph Lichtenberg   lehrte, von dem der zitierte Aphorismus stammt.”  – 

    Zur Verwendung und angeblichen Herkunft des Zitats sei angemerkt, dass, wenn auch im Internet all die vielen Zitatebeiträger an den gleichen Urheber denken, keiner richtig denkt. Aus Lichtenbergs Sudelbüchern stammt das Zitat jedenfalls nicht!"

    Mitteilungen der Lichtenberg-Gesellschaft, Brief 47, Dezember 2013, S. 28 (pdf)
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Walter Lippmann

1915

Walter Lippmann: "The Stakes of Diplomacy", 1915, S. 51

Zuschreibungen im 21. Jahrhundert:


2000
  • ."Wenn alle das Gleiche denken, denkt niemand." anonym (GoogleBooks)
2008 
  • "Wenn alle das Gleiche denken, denkt keiner richtig."
     "Georg Christoph Lichtenberg, dt. Physiker u. 'Meister des Aphorismus', 1742 - 1799"  (rundumgenuss.de)
2010
 2011
  • "'Wenn alle das Gleiche denken, denkt keiner richtig', war sich Georg Christoph Lichtenberg sicher". (GoogleBooks)
2012
  • "Der amerikanische Intellektuelle und Pulitzer-Preisträger Walter Lippmann formulierte treffend: 'Wenn alle das Gleiche denken, denkt niemand besonders viel.«'"
    (GoogleBooks
    )
2015
  • "So stellt C.G. Lichtenberg treffen fest: 'Wenn alle das gleiche denken, denkt keiner richtig.'" (GoogleBooks)
2015 
  • "Der amerikanische Intellektuelle und Pulitzer-Preisträger Walter Lippmann formulierte treffend: 'Wenn alle das Gleiche denken, denkt niemand besonders viel.'"  (GoogleBooks)
2018
  • Der Experimentalphysiker und Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg hat gesagt: Wenn alle das Gleiche denken, wird nicht viel gedacht. Ich sehe meine Berufung darin dazu beizutragen, dass nicht alle das Gleiche denken. - derstandard.at/2000081946616/Ich-hoffe-unbotmaessig-Fleischhacker-ueber-Sommergespraeche-und-Mateschitz "Der Experimentalphysiker und Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg hat gesagt: Wenn alle das Gleiche denken, wird nicht viel gedacht. Ich sehe meine Berufung darin dazu beizutragen, dass nicht alle das Gleiche denken." (derstandard.at)
Der Experimentalphysiker und Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg hat gesagt: Wenn alle das Gleiche denken, wird nicht viel gedacht. - derstandard.at/2000081946616/Ich-hoffe-unbotmaessig-Fleischhacker-ueber-Sommergespraeche-und-Mateschitz
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Quellen:
"A Dictionary of American Proverbs" Editor in chief: Wolfgang Mieder, Editors: Stewart A. Kingsbury und Keslie B. Harder, Oxford University Press, New York: 1992, S. 591
Walter Lippmann: "The Stakes of Diplomacy", Henry Holt and Company, New York: 1915, S. 51 (Link)
Lichtenberg-Gesellschaft: "'Lichtenbergs Enten.' Fälschlich Georg Christoph Lichtenberg zugeschriebene Zitate." pdf 
Mitteilungen der Lichtenberg-Gesellschaft, Brief 47, Dezember 2013, S. 28 (pdf)
Wikiquote

Beispiele für falsche Zuschreibung an Lichtenberg:
GoogleBooks
2008: rundumgenuss.de  (frühe falsche Zuschreibung im Usenet)
2018: Harald Fidler: "Unbotmäßige Fragen? 'Ich hoffe schon'", Interview mit Michael Fleischhacker, "Der Standard", 21. Juni 2018 (derstandard.at)
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Dank:
Ich danke Basso Continuo für seine Recherchen.

Montag, 18. Juni 2018

“Jeder intelligente Narr kann Dinge größer und komplexer machen. Es braucht ein Stück Genialität – und jede Menge Mut -, sich in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen.” Albert Einstein (angeblich)

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat..

Dieser Satz von E. F. Schumacher, dem Autor des Bestsellers "Small Is Beautiful: A Study of Economics As If People Mattered ", wird im 21. Jahrhundert sehr oft Albert Einstein unterschoben.

Albert Einstein war schon achtzehn Jahre tot als dieser Satz geprägt wurde.

E. F. Schumacher, 1973

  • "Any intelligent fool can make things bigger, more complex, and more violent. It takes a touch of genius — and a lot of courage to move in the opposite direction."
    E.F. Schumacher: "Small is Beautiful", 1973,  S. 22 (Link)
(E. F. Schumacher war ein Schüler des in Österreich geborenen Ökonomen und "philosophischen Anarchisten" Leopold Kohr, der den Slogan "Small is beautiful" geprägt hat.)


Pseudo-Albert-Einstein quote.

Dieses Pseudo-Einstein-Zitat wird nicht nur durch unseriöse Zitatsammlungen verbreitet, sondern taucht zum Beispiel auch in einem offiziellen Dokument einer UN-Organisation auf (Human Development Report, Berlin: 2014, S. 40).
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Quellen:
Google 
E.F. Schumacher: "Small is Beautiful", (Vorabdruck) in: "The Radical Humanist", Vol 37, Nr. 6, September 1973, Naya Hindustan Press, New Delhi: 1973,  S. 22 (Link)
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011 (keine Erwähnung des Zitats)
"Human Development Report 2014. Sustaining Human Progress: Reducing Vulnerabilities and Building Resilence", United Nations Development Programme (UNDP), deutsche Fassung: "Bericht über die menschliche Entwicklung 2014 ...", (UNDP), Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V Berlin: 2014, S. 40.  
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Dank:
Ich danke Tobias Blanken für den Hinweis auf dieses Pseudo-Einstein-Schumacher-Zitat (Twitter).  
(In Arbeit.)

Freitag, 15. Juni 2018

"Die Toleranz ist eine schreckliche Tugend, und die nächsten Verwandten der Toleranz sind die Apathie und Schwäche." Oliver Goldsmith (angeblich)


Dieses angebliche Zitat aus dem 18. Jahrhundert des irischen Autors Oliver Goldsmith gibt es auf Deutsch in diesem Wortlaut erst seit ungefähr 3 Jahren. Es ist als politisches Argument von Gegnern der Asyl-Politik Angela Merkels entstanden und wird inzwischen auch schon in drei unseriösen deutschsprachigen Zitatsammlungen  Oliver Goldsmith unterschoben.


Auf Englisch wird ein ähnliches Zitat seit mehr als 30 Jahren dem Milliardär, Aktivisten und Politiker James Goldsmith, der im 20. Jahrhundert lebte, zugeschrieben.

1986
  • "Tolerance is a tremendous virtue, but the immediate neighbors of tolerance are apathy and weakness. -James Goldsmith" (Link)
In einer deutschen Übersetzung dieses Zitats aus dem Jahr 2011 wird als Autor nur mehr ein "Goldsmith" ohne Vornamen angegeben:

 2011
  • "Toleranz ist eine außerordentliche Tugend, aber ihre unmittelbaren Nachbarn sind Gleichgültigkeit und Schwäche.  Goldsmith"   (Link)
Aus dem Satz, "Toleranz ist eine außerordentliche Tugend, aber ..." entstand in der antiliberalen Fassung von 2015 der Satz, "Toleranz ist eine schreckliche Tugend und ...", den Oliver Goldsmith im 18. Jahrhundert gesagt haben soll.


Seit Juni 2015 wird dieser Satz von anonymen Postern nach islamistischen Morden zitiert, um das europäische Bekenntnis zur Toleranz in Frage zu stellen, zum Beispiel findet man das Zitat in Kommentaren nach dieser Rede Angela Merkels:

Angela Merkel, 2015

  • Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte ihre bisherige Haltung und sagte am Samstag, neben einer Reaktion der Sicherheitskräfte müsse es auch eine der Bürger geben. „Und die heißt: Wir leben von der Mitmenschlichkeit, von der Nächstenliebe, von der Freude an der Gemeinschaft. Wir glauben an den Respekt vor dem anderen und an die Toleranz. Wir wissen, dass unser freies Leben stärker ist als jeder Terror.“  wiwo.de/
-
In antiliberalen Kreisen ist auch der fälschlich Aristoteles zugeschriebene Aphorismus, Toleranz und Apathie seien die letzten Tugenden einer sterbenden Gesellschaft, in diesem Zusammenhang sehr  beliebt.

Ich habe den Eindruck, dass bei den angeblich wahrheitsliebenden Kämpfern gegen die "Lügenpresse" erlogene und entstellte Zitate noch viel öfter vorkommen als in den von ihnen verachteten etablierten Medien.

Verachtung für Toleranz drückte übrigens auch der französische Experte für Grausamkeiten aller Art, Marquis de Sade, aus: "La tolérance est la vertu du faible" (Link), "Toleranz ist die Tugend der Schwachen."

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Quellen:
Google 
Sven Prange: Terror in Frankreich / "Was wir über die Anschläge von Paris wissen", Wirtschaftswoche, 15. November 2015 (Link)
Goldsmith: spectator.co.uk/2016/05
wikiquote
Frühe Erwähnungen:
2015 pi-news.net; 2015 volksbetrugpunktnet; 2016 contra-magazin.com 
Weitere Beispiele für falsche Zuschreibungen:
aphorismen.de/zitat/171405;   gutezitate.com/zitat/259641

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Dank:
Für seine Hinweise auf James Goldsmith danke ich Ralf Bülow sehr.

Letzte Änderung: 17. Juni 2018

Donnerstag, 14. Juni 2018

"Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal." Kurt Tucholsky (angeblich)



Dieses Sprichwort wird seit ungefähr 2005, also 70 Jahre nach seinem Tod, manchmal dem Satiriker Kurt Tucholsky unterschoben. Es scheint ein Kuckuckszitat zu sein, weil es in seinen Texten nicht zu finden ist. (Artikel in Arbeit.)

Kurt Tucholsky hatte sich mit seinem "Traktat über den Hund, sowie über Lerm und Geräusch" bei Hundebesitzern unbeliebt gemacht, und mit seinem "Brief an einen Kater" bewiesen, dass er Katzen verehrte:


Kurt Tucholsky






  • "Einen Gruß, Mingo! An dich und an alles, was schön ist und rätselhaft, überflüssig und geschwungen, unergründlich und einsam und ewig getrennt von uns: also an die Katzen und an das Feuer und das Wasser und an die Frauen.
    Mit einem herzlichen Fellgestreichel"
    Kurt Tucholsky: Peter Panter an den Kater Mingo, "Brief an einen Kater", Vossische Zeitung, 25. November 1927, (Link)
Vielleicht werden Kurt Tucholsky heute Katzen-Zitate unterschoben, weil er Katzen mochte und verehrte.



Varianten


2004: "Hunde haben ein Herrchen oder Frauchen, Katzen ihr Personal. unbekannt" mietzmietz.de
2005: "Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal (Kurt Tucholsky)" razyboard.com
2006: "Ein Hund hat einen Herrn, Katzen haben Personal." anonym  chefkoch.de/forum 
2007: "Hunde brauchen ein Herrchen, Katzen haben Personal." anonym fotocommunity.de
2008: "Schmitz' Katze: Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal". books.google
2009: "'Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal' – das soll der Schriftsteller und Satiriker Kurt Tucholsky einmal gesagt haben." welt.de

  • "Hunde brauchen einen Herren, Katzen haben Personal. (Volksmund)"
  • "Hunde haben ein Herrchen oder Frauchen, Katzen haben Personal. (unbekannt)" 
  • "Nur Hunde haben Besitzer... Katzen haben Personal!" anonym
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Ralf Schmitz: "Schmitz' Katze: Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal", Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main: 2008 

Sonntag, 10. Juni 2018

"Toleranz ist die letzte Tugend einer untergehenden Gesellschaft." Aristoteles (angeblich)


Pseudo-Aristoteles-Zitat.

Dieses in konservativen und rechtsextremen Kreisen beliebte Zitat kann nicht von Aristoteles stammen, da der Begriff "Toleranz" erst am Ende des Mittelalters aufkam, und es stammt auch nicht von Aristoteles, sondern wurde am Ende des 20. Jahrhunderts in Amerika geprägt.

Dieses Kuckuckszitat, mit dem man seine Geringschätzung für die Idee der Toleranz philosophische Autorität verleihen will, geht auf  den konservativen amerikanischen Prediger D. James Kennedy zurück, der es allerdings nicht Aristoteles unterschob:

D. James Kennedy


1999
2000

2007
  • "Tolerance is the last virtue of a depraved society. When you have an immoral society that has blatantly, proudly, violated all of the commandments of God, there is one last virtue they insist upon: tolerance for their immorality."
    D. James Kennedy, 2007,  Christianpost.com
Seit dem Jahr 2007 wird dieses Zitat in leicht abgewandelten Versionen auch auf Deutsch Aristoteles unterschoben.


Pseudo-Aristotle quote.
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Quellen:
D._James_Kennedy: "The New Tolerance", The Christian Post, 17. Mai 2007 (Christianpost)
D. James Kennedy: "Led by the Carpenter: Finding God's Purpose for Your Life", Thomas Nelson Publishers, Nashville: 1999, S. 209
D. James Kennedy: "Solving Bible Mysteries: Unraveling the Perplexing and Troubling Passages of Scripture", The Kennedy Collection, Nashvillle: 2000, ebook (Link)

historum.com/general-history/22873-fake-quotes-5.html
answers.yahoo.com
merriam-webster.com/
wikiquote
Christian Feichtinger: "Warum Toleranz vielleicht doch nicht die Tugend einer untergehenden Gesellschaft ist", derStandard.at, 26. August 2014 (Link)
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Dank:
Ich danke Ralf Bülow sehr für die zusätzlichen Quellenfunde.

Freitag, 8. Juni 2018

"I hate being Bi-Polar / it's awesome". Kanye West (angeblich)

Dieser Witz ist ist seit mehr als 10 Jahren in verschiedenen Versionen im Usenet und seit ein paar Jahren als Aufschrift von T-Shirts und Kaffeetassen verbreitet.

Die Urheberin oder der Urheber des Spruchs, den der Rapper Kanye West 2018 auf dem Cover seines Albums "ye" verwendet, ist unbekannt.


2007  "I hate being bipolar. It's fantastic."  www.forum.hr/

2012 "I hate being bipolar, it's great." twitter

2013  "I hate being bipolar. It's amazing." books.google

2013 "I hate being bipolar, it's fucking awesome!" twitter

2014  "I hate being bipolar. It's awesome!" books.google 

  • "Ich hasse es Manisch-depressiv zu sein, es ist großartig."
  • "Ich hasse es, bipolar zu sein, es ist fantastisch".

Sonntag, 3. Juni 2018

"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte." Chinesisches Sprichwort (angeblich)

Dieses Sprichwort hat seine Wurzeln im deutschen Sprachraum im 19. Jahrhundert, wird aber seit 100 Jahren als alte chinesische oder japanische Weisheit bezeichnet, auch wenn asiatische Ursprünge dieser Weisheit bis heute nicht nachgewiesen werden konnten.

 Auf Deutsch tauchen im 19. Jahrhundert Wendungen wie, "ein Kuss sagt mehr als tausend Worte", "die Röte ihrer Wangen sagen mehr als tausen Worte" auf,  und seit 1810 kennt man die Wendung "Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte." 

1914 erscheint die englische Übersetzung dieses Aphorismus in der Version "A look is worth a 1000 words" in einer Immobilien-Annonce der New York Times als angebliches japanisches Sprichwort.

1921 bringt die Washington Post eine Annonce mit den Worten: ‘The picture is worth ten thousand words’ als angeblich altes chinesisches Sprichwort.

Auf französisch steht in einem Text aus dem Jahr 1889 der Aphorismus "ein Bild sagt mehr als tausend Worte" ohne jeglichen Hinweis auf China oder Japan ...



Artikel in Arbeit. Fortsetzung und Nachweise folgen.


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Quellen:
 folgen