Dienstag, 10. April 2018

"Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen." Albert Einstein (angeblich)


Dieses Zitat ist eine Paraphrase eines Satzes, den Albert Einstein am 30. März 1953 für eine Publikation zu Ehren des Cellisten Pau (Pablo) Casals, dem er persönlich nie begegnet war, verfasst hat; das entstellte Zitat ist wahrscheinlich aus einer Rückübersetzung aus dem Englischen entstanden.

Einsteins Worte über Pablo Casals wurden zuerst auf Französisch publiziert, dann auf Englisch und erst später auf Deutsch.

Der auf der ganzen Welt bewunderte Katalane Pau Casals weigerte sich ab 1933 in Hitler-Deutschland zu musizieren und trat gegen das Franco-Regime in Spanien auf.

Im Original lautet Einsteins Satz:
  • Pablo Casals "hat klar erkannt, dass die Welt mehr bedroht ist durch die, welche das Übel dulden oder ihm Vorschub leisten, als durch die Übeltäter selbst."
    Albert Einstein, 1953
Daraus entstand im Lauf der Zeit die plakative, unsinnige Formulierung: "Die Welt wird nicht bedroht, von Menschen, die böse sind ..." (Link)



Albert Einstein, Typoskript, 30. März 1953


Albert Einstein, Typoskript, 30. März 1953, Einstein Archive, © The Hebrew University of Jerusalem.

  • "Die Wertschätzung Pablo Casals(') als grossen Künstler braucht fürwahr nicht auf mich zu warten, denn hierin herrscht Einstimmigkeit unter den Auguren. Was ich aber an ihm besonders bewundere, ist seine charaktervolle Haltung nicht nur gegen die Unterdrücker seines Volkes, sondern auch gegen alle diejenigen Opportunisten, die immer bereit sind, mit dem Teufel zu paktieren. Er hat klar erkannt, dass die Welt mehr bedroht ist durch die, welche das Uebel dulden oder ihm Vorschub leisten, als durch die Uebeltäter selbst.
    Princeton N.J.  / 30. März 1953                  Albert Einstein."
  • "It is certainly unnecessary to await my voice in acclaiming Pablo Casals as a very great artist, since all who are qualified to speak are unanimous on this subject. What I particularly admire in  him is the firm stand he has taken, not only against the oppressors of his countrymen, but also against those opportunists who are always  ready to compromise with the Devil. He perceives very clearly that the world is in greater peril from those who tolerate or encourage  evil than from those who actually commit it."
    Albert Einstein, 30. März 1953, übersetzt von Andre Mangeot.

 Varianten des entstellten Einstein-Zitats:

 



 

  • "The world is a dangerous place to live, not because of the people who are evil, but because of the people who don't do anything about it."
  • "The world is a dangerous place, not because of those who do evil, but because of those who look on and do nothing."
  • "The world will not be destroyed by those who do evil, but by those who watch them without doing anything."
  • "Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen."
  • "Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben - nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen."
  • "Die Welt ist nicht gefährlich wegen denen, die Schlechtes tun, sondern wegen denen, die zusehen und machen lassen."
 
Entstelltes Albert-Einstein-Zitat.

Entstelltes Albert-Einstein-Zitat.

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Quellen:
Albert Einstein: Typoskript, Princeton, 30. März 1953,  Einstein Archive 34 - 347, The Hebrew University of Jerusalem
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011, S. 115f. (Link)
Josep Maria Corredor: "Conversations avec Pablo Casals: Souvenirs et opinions d'un musicien Pablo Casals". Éditions Albin Michel, Paris: 1955, S. 15 (Link)
Josep Maria Corredor: "Conversations with Casals." With an Introduction by Pablo Casals and an appreciation by Thomas Mann. Übersetzt von Andre Mangeot, Dutton, New York: 1957, S. 11
Wikiquote
Juttas Zitateblog 2011 (Link)
Die entstellte Version des Zitats ist weit verbreitet und in vielen Zitatsammlungen zu finden (Google).
 
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Dank:
Ich danke Roni Grosz (und Orith Burla Barnea) von den Albert Einstein Archives der Hebrew University of Jerusalem für die Erlaubnis, das Original-Typoskript Albert Einsteins hier wiedergeben zu dürfen.

Samstag, 7. April 2018

„Alle Bücher, die ich gelesen habe, haben mir den Trost nicht gegeben, den mir Psalm 23 Vers 4 gab." Immanuel Kant (angeblich)

Seit 120 Jahren suchen Kant-Spezialisten vergeblich nach dem Ursprung dieses Zitats in den Schriften und Briefen Immanuel Kants. Der Philosoph Hans Vaihinger publizierte im ersten Band der "Kantstudien" 1897 eine Umfrage, woher dieses Zitat, das durch Erbauungsliteratur seit etwa 1870 verbreitet wird, stammen könnte:

 
Kantstudien, Band 1, 1897, S. 156

Inzwischen sind sämtliche Texte Immanuel Kants digitalisiert und weder in seinen noch in anderen zeitgenössischen Texten ist dieses Zitat zu finden. Es ist also ein Kuckuckszitat, das über 60 Jahre  nach Kants Tod entstanden ist. Wer es geprägt hat, ist unbekannt, da noch Quellen vor 1870 gefunden werden könnten.

Dieses Pseudo-Immanuel-Kant-Zitat wird im Internet hauptsächlich durch protestantische, aber auch durch katholische Sprüche- und Predigtsammlungen verbreitet.


1874
  • "Alle Bücher, die ich gelesen habe, haben mir den Trost nicht gegeben, den mir das Wort in der Bibel Ps 23, 4 gab: ob ich schon wanderte im finsteren Thal, fürchte ich kein Unglück, denn Du, Herr, bist bei mir.(Link)
1935
  • "Und Kant: 'Alle Bücher, die ich gelesen habe, haben mir den Trost nicht gegeben, den mir Psalm 23 Vers 4 gab.'" (Link)
2011
  • "Kein Geringerer als Immanuel Kant schreibt zu Psalm 23, den man auch das protestantische Ave Maria genannt hat: 'Alle Bücher, die ich gelesen habe, haben mir diesen Trost nicht gegeben, den mir dieses Wort der Bibel gab.'" (Link)
2014
  • "Der große Philosoph Immanuel Kant soll folgendes festgestellt haben: "Ich habe in meinem Leben viele kluge und gute Bücher gelesen. Aber ich habe in ihnen allen nichts gefunden, was mein Herz so still und froh gemacht hätte wie die vier Worte aus dem 23. Psalm: 'Du bist bei mir!'“ (Link)
2015
  • "Mit dem Psalmisten beten wir: 'Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.' Dem Philosophen Immanuel Kant wird dazu ein tiefgründiges Bekenntnis in den Mund gelegt: 'Alle Bücher, die ich gelesen habe, haben mir den Trost nicht gegeben, den mir dies Wort der Bibel gab.'" (Link)
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Quellen:
Google
"Kantstudien." Herausgegeben von Hans Vaihinger, Erster Band, Verlag von Leopold Voss, Hamburg und Leipzig: 1897, S. 156 (Link)
Christofer Frey: "Hat sich Kant jemals auf den Psalm 23 bezogen und den hohen Wert der vier Wörter "du bist bei mir" hervorgehoben?" 2002 (Link).
Immanuel Kant: Gesammelte Werke, Akademieausgabe. Elektronische Edition: Universität Duisburg 
Erstmals zugeschrieben: 
Alice Salzbrunn:  "Das Wort Gottes in Zeugnissen von Theologen, Philosophen und Dichtern." (EA 1870, Leipzig) 2. Auflage, Friese, Berlin: 1874, S. 56 (zitiert nach Vaihinger) 

Donnerstag, 5. April 2018

"Wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander spielen sie Mozart." Isaiah Berlin (angeblich)

Dieses Lob Mozarts stammt von dem Schweizer Theologen Karl Barth, der es in einem "Dankbrief an Mozart" für eine Umfrage der  "Luzerner Neuesten Nachrichten" am 21. Januar 1956 erstmals publiziert hat. Dieser "Dankbrief" ist in Karl Barths kleinem Mozart-Buch von 1956 wieder abgedruckt.

Der britische Philosoph Isaiah Berlin, dem dieses Mozart-Lob manchmal zugeschrieben wird,  hat diesen Spruch einmal ohne Hinweis auf Karl Barth zitiert ("It is said that the angels .."), aber er hat ihn nicht geprägt.
Pseudo-Isaiah-Berlin quote.

Karl Barth, Dankbrief an Mozart:

  • "Wie es mit der Musik dort steht, wo Sie sich jetzt befinden, ahne ich nur in Umrissen. Ich habe die Vermutung, die ich in dieser Hinsicht hege, einmal auf die Formel gebracht: ich sei nicht schlechthin sicher, ob die Engel, wenn sie im Lobe Gottes begriffen sind, gerade Bach spielen — ich sei aber sicher, daß sie, wenn sie unter sich sind, Mozart spielen und daß ihnen dann doch auch der liebe Gott besonders gerne zuhört."
    Karl Barth: "Dankbrief an Mozart", Basel, 23. Dezember 1955 (Aus der Umfrage der 'Luzerner Neuesten Nachrichten', 21. Januar 1956) in: Karl Barth: "Wolfgang Amadeus Mozart  1756/1956", EVZ Verlag, Zürich: 1956 (7. Auflage 1967), S. 13

Isaiah Berlin

  • "Isaiah Berlin, an English political scientist, once wrote, "It is said that the angels, when they play for God, play Bach, but when they play for each other, they play Mozart."
    Michael Samuel Aurelius: "High On Mozart", Chicago Tribune, 9. November 1993 (Link)
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Quellen:
Google
Karl Barth: "Dankbrief an Mozart", Basel, 23. Dezember 1955 (Aus der Umfrage der 'Luzerner Neuesten Nachrichten', 21. Januar 1956) in: Karl Barth: "Wolfgang Amadeus Mozart  1756/1956", EVZ Verlag, Zürich: 1956 (7. Auflage 1967), S. 13
Michael Samuel Aurelius: "High On Mozart", Chicago Tribune, 9. November 1993 (Link)
Time, 1962 (Link)