Freitag, 17. August 2018

"Gutmenschen sind ein Fluch. Auch sie tun gute Taten. Aber sie tun es auf eine Weise, die ihre Mitwelt manchmal schier um den Verstand bringt." Oscar Wilde (angeblich)

https://twitter.c



Dieses Pseudo-Oscar-Wilde-Zitat wurde vor ein paar Jahren erfunden und wird zurecht kaum zitiert.

Das Wort "Gutmensch" wurde in den 1980er Jahren geprägt, und in den 1990er Jahren bald nur noch abwertend als Schimpfwort gebraucht, das im 21. Jahrhundert fast nur mehr von Rechten verwendet wird.

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Quellen:
Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. : "Herkunft von Gutmensch"  (Link)
Wikipedia 
2012 (angeblich): zitate-und-weisheiten

"Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird." Immanuel Kant (angeblich)

Pseudo-Immanuel-Kant-Zitat.
 Dieses Zitat stammt aus dem Schauspiel "Der Stern von Sevilla" des österreichischen Autors Christian von Zedlitz und wird dem Königsberger Philosophen Immanuel Kant seit Jahrzehnten untergeschoben.

Obwohl der Literaturwissenschaftler Ulrich Seelbach von der Universität Bielefeld dankenswerter Weise schon vor Jahren auf diese falsche Zuschreibung des Zedlitz-Zitats in seiner Sammlung von Trauersprüchen hingewiesen hat, wird dieses Zitat weiterhin in Trauerspruchsammlungen, Büchern und Zeitungen Immanuel Kant und manchmal auch irrtümlich Seneca zugeschrieben.

Pseudo-Seneca-Zitat.

 1830, Christian von Zedlitz

  • "Wer im Gedächtniß seiner Lieben lebt, Ist ja nicht todt, er ist nur fern. – Todt nur
    Ist, wer vergessen wird; 
    ich aber werde,
    Ich weiß es, nicht vergessen seyn von dir – "
    Joseph Christian von Zedlitz: "Der Stern von Sevilla", 4. Aufzug, 7. Auftritt, Ortiz zu Estrella (Link) 
 "Der Stern von Sevilla" ist nach Motiven des 1623 publizierten Dramas "La Estrella de Sevilla" des spanischen Dichters Lope de Vega entstanden.

Die Wendung, "Todt nur ist, wer vergessen wird", scheint es nur in der deutschen Fassung des österreichischen Autors Christian von Zedlitz zu geben, obwohl sie manchmal im 19. Jahrhundert Lope de Vega zugeschrieben wird (Link).

Varianten dieses Satzes

  • "Wer im Herzen seiner Lieben lebt, ist nicht tot. Tot ist, wer vergessen wird."
 
1859, George Eliot
  • "Unsere Toten werden erst dann wirklich tot sein, wenn wir sie vergessen haben."
  • "Our dead are never dead to us until we have forgotten them."
    George Eliot, "Adam Bede"  (Link)
 21. Jahrhundert
https://twitter.com/krieghofer/status/8712816072185405
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Quellen:
Ulrich Seelbach von der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld: "Trauersprüche"
Wikiquote
"Der Stern von Sevilla", Nach dem gleichnamigen Schauspiel des Lope de Vega, bearbeitet von Joseph Christian Baron v. Zedlitz, Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen: 1830, S. 98 (Link)
George Eliot: "Adam Bede" (Erstausgabe 1859, John Blackwood, London), Harper and Brothers, New York: 1860, S. 89 (Link)
Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik (1992-1997). Hrsg. von Walter Koch u.a.  Hahnsche Buchhdlg. , Hannove: 2000, S. 450 (zitiert nach Seelbach)
 Google
2011: Geschichtsforum

Frühe falsche Zuschreibungen an Immanuel Kant:
1984: Traueranzeige, "Das Ostpreußenblatt", 6. Oktober 1984, S. 22 preussische-allgemeine.de/1984
 
1992: Traueranzeige S. 23  preussische-allgemeine.de/1992
1999: Traueranzeige
1998: groups.google.com

Weitere Beispiele für falsche Zuschreibungen an Kant:
2016: Dudenredaktion: "DUDEN - Passende Worte im Trauerfall: Trauertexte stilsicher formulieren", Bibliographisches Institut, Berlin: 2016, ebook  (Link)
2018:  www.focus.de/wissen
2016 books.google


Falsche Zuschreibungen an Brecht:
zum Beispiel:
Dudenredaktion: "DUDEN - Passende Worte im Trauerfall: Trauertexte stilsicher formulieren", Bibliographisches Institut, Berlin, 2016, ebook (Link)

Donnerstag, 16. August 2018

"Eines Morgens wachst Du nicht mehr auf, die Vögel aber singen, wie sie gestern sangen. Nichts ändert diesen Tagesablauf. Nur Du bist fortgegangen. Du bist nun frei, und unsere Tränen wünschen Dir Glück." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Goethe-Zitat.
Dieses angebliche Goethe-Zitat ist fast zur Gänze eine Erfindung des 21. Jahrhunderts und taucht um 2007 das erste Mal in den digitalisierten Texten auf.  Es ist anonymen Ursprungs und wird seit ein paar Jahren auf vielen Traueranzeigen und in einigen Anthologien fälschlich Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben.

In Goethes Schriften ist dieses Zitat nicht zu finden, worauf auch der Literaturwissenschaftler Ulrich Seelbach in seiner verdienstvollen Sammlung moderner Trauer- und Trostsprüchen hinwies (Link).

Nur der letzte Satz im Pseudo-Goethe-Gedicht stammt aus einem Trostbrief, den der 21jährige Goethe an seine Großmutter schrieb, als er im Februar 1771 in Straßburg vom Tod seines Großvaters erfuhr:

Johann Wolfgang von Goethe an seine Großmutter Anna Margaretha Textor, 1771:

  • " ... Er ist nun frey und unsre Tränen wünschen ihm Glück und unsre Traurigkeit versammelt uns um Sie liebe Mama, uns mit Ihnen zu trösten, lauter Hertzen voll Liebe! Sie haben viel verlohren, aber es bleibt Ihnen viel übrig. Sehen Sie uns, lieben Sie uns und seyn Sie glücklich.

    Genießen Sie noch lange auch der zeitlichen Belohnung, die Sie so reichlich an unserm krancken Vater verdient haben, der hingegangen ist es an dem Ort der Vergeltung zu rühmen, und der uns als Denckmale seiner Liebe zurückgelassen hat, Denckmale der vergangnen Zeit, zur traurigen aber doch angenehmen Erinnerung.

    Und so bleibe Ihre Liebe für uns wie sie war, und wo viel Liebe ist, ist viel Glückseeligkeit. Ich bin mit recht warmem Herzen
    Ihr zärtlicher Enckel / J. W. Goethe" (Link)
Aus: "Er ist nun frey und unsre Tränen wünschen ihm Glück", wurde in dem Pseudo-Goethe-Gedicht: "Du bist nun frei, und unsere Tränen (Variante: Träume) wünschen Dir Glück", aus "Er" wurde "Du" und aus "Tränen" wurden in einigen Versionen des Trauerspruchs "Träume".


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Quellen:
Google
Arbeitsgruppe von Ulrich Seelbach von der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld: "Trauersprüche", 2009
Lexikon der Goethe-Zitate. Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991
Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. IV. Abteilung: Goethes Briefe, Bd. 1–50, Weimar: 1887–1912. Band 1, S. 255 (Link);   (Link)
wer-weiss-was.de/t/traueranzeigen-psdeudogoethe

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Johann Wolfgang von Goethe:
Michael George: "Worte und Briefe der Anteilnahme: Musterreden für Trauerfeiern - Textvorlagen für Karten und Briefe - Zitate und Aphorismen", Südwest Verlag, München: 2009 ebook
Frühe Zuschreibung 2008: wer-weiss-was.de
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Dank:
Ich danke Ulrich Seelbach und der unbekannten Kreszenz, die auf Goethes Brief aufmerksam machte.

Artikel in Arbeit.

Dienstag, 14. August 2018

"Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt." Bertolt Brecht (angeblich)


Pseudo-Bertolt-Brecht-Zitat.
Dem im Jahr 1956 verstorbenen Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht wird dieser Trauerspruch seit etwa zwanzig Jahren unterschoben. In seinen Werken und in zeitgenössischen Quellen ist dieses Pseudo-Brecht-Zitat bisher nicht gefunden worden.

Dieser Trauerspruch stammt so ähnlich aus dem 19. Jahrhundert.

Entwicklung des Zitats


 1830, Christian von Zedlitz
  • "Wer im Gedächtniß seiner Lieben lebt,
    Ist ja nicht todt, er ist nur fern. – Todt nur
    Ist, wer vergessen wird; 
    ich aber werde,
    Ich weiß es, nicht vergessen seyn von dir – "
    Joseph Christian von Zedlitz: "Der Stern von Sevilla", 4. Aufzug, 7. Auftritt, Ortiz zu Estrella  (Link)
"Der Stern von Sevilla" ist nach Motiven des 1623 publizierten Dramas "La Estrella de Sevilla" des spanischen Dichters Lope de Vega entstanden.

Die Wendung, "Todt nur ist, wer vergessen wird", scheint es nur in der deutschen Fassung des österreichischen Autors Christian von Zedlitz zu geben, obwohl sie manchmal im 19. Jahrhundert Lope de Vega zugeschrieben wird (Link).

Das Zitat aus dem Schauspiel "Der Stern von Sevilla" wurde bald geflügelt und als anonymer Trauerspruch verbreitet.
 

1859, George Eliot
  • "Unsere Toten werden erst dann wirklich tot sein, wenn wir sie vergessen haben."
  • "Our dead are never dead to us until we have forgotten them."
    George Eliot, "Adam Bede"  (Link)

Der Trauerspruch "Tot ist nur, wer vergessen ist" (Link) wird heute auch  Immanuel Kant , Seneca und anderen unterschoben.


 Twitter, 2017:


https://twitter.com/krieghofer/status/8712816072185405
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Quellen:
Wikiquote
Arbeitsgruppe von Ulrich Seelbach von der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld: "Trauersprüche"
"Der Stern von Sevilla", Nach dem gleichnamigen Schauspiel des Lope de Vega, bearbeitet von Joseph Christian Baron v. Zedlitz, Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen: 1830, S. 98 (Link)
George Eliot: "Adam Bede" (Erstausgabe 1859, John Blackwood, London), Harper and Brothers, New York: 1860, S. 89 (Link)
 Google
2011: Geschichtsforum

Frühe falsche Zuschreibung:
1998: groups.google.com

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Google: diverse Online-Zitatsammlungen;  Zitate im Management;
Dudenredaktion: "DUDEN - Passende Worte im Trauerfall: Trauertexte stilsicher formulieren", Bibliographisches Institut, Berlin, 2016, ebook (Link)

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Dank

Ich danke Ulrich Seelbach und allen Teilnehmern der Twitter-Diskussion über dieses Zitat und besonders Ralf Bülow für den Hinweis auf Zedlitz.

Artikel in Arbeit.


Sonntag, 12. August 2018

"Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler." Winston Churchill (angeblich)

Pseudo-Winston-Churchill quote.


Dieses populäre Pseudo-Chuchill-Zitat wird Winston Churchill seit etwa 1992 unterschoben (Wikiquote).

Richard M. Langworth, der Herausgeber einer seriösen Zitatsammlung Churchills, sowie Experten der International Churchill Society (Link) versichern, dass dieses Zitat in keinem Text oder Interview Churchills zu finden ist und Winston Churchill eine positivere Einstellung zu durchschnittlichen Wählerinnen und Wählern hatte.

Varianten


  • "The best argument against democracy is a five-minute conversation with the average voter."
  • "Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein 5 Minuten Gespräch mit einem durchschittlichen Wähler."
  • "Das beste Argument gegen Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler."
  • "Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler."
  • "Das gößte Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler."  


Pseudo-Winston-Churchill quote.

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Quellen:
Michael Richards: "History Detectives – Red Herrings: Famous Words Churchill Never Said", The International Churchill Society,  winstonchurchill.org:  "No attribution. Though he sometimes despaired of democracy’s slowness to act for its preservation, Churchill had a more positive attitude towards the average voter."
Winston Churchill: "Churchill by Himself." Herausgegeben von Richard M. Langworth, RosettaBooks: 2013, ebook, Stichwort "Democracy" (Link)
Wikiquote

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
1992:  groups.google.com/forum (Frühe falsche Zuschreibung)
2013: Armgard Seegers: "Braucht die Kunst Demokratie?", Die Welt, 21. September 2013 (Link) 
2016: pi-news.net/2016/11/luegenpresse-merkel-ist-super-fuer-deutschland
2017: Robert Menasse: "Permanente Revolution der Begriffe: Vorträge zur Kritik der Abklärung", edition suhrkamp 2592, Berlin: 2017 ebook (Link)
2018 : Karl-Peter Schwarz: "Wie es der Republik Venedig gelang, von Klugen regiert zu werden", Die Presse, 13. Juni 2018  diepresse.com

 
Letzte Änderung: 21/10 2018

"Was süchtig macht, macht unglücklich." Sigmund Freud (angeblich)

Pseudo-Sigmund-Freud-Zitat; in: Evelyn Holst: "Der Liebe Last", 2012

Dieses noch nicht sehr weit verbreitete Pseudo-Sigmund-Freud-Zitat taucht  2012 als Motto in dem Krimi "Der Liebe Last" von Evelyn Holst auf und davor - um 2006 - in einem Schweizer sozialpädagogischen Fachbuch; im 20. Jahrhundert ist dieses Zitat in den digitalisierten Texten nicht zu finden.
 
Es gibt keinen guten Grund anzunehmen, dass dieses mehr als 60 Jahre nach Sigmund Freuds Tod ihm erstmals zugeschriebene Zitat jemals in einem seiner Werke oder Interviews gefunden werden wird.
Pseudo-Sigmund-Freud-Zitat; FAZ, 11. August 2018.

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Quellen:
 Zentrum Gfellergut: "Praxishandbuch für die sozialpädagogische Arbeit mit Jugendlichen im Sozialpädagogischen Zentrum Gfellergut", Suchtprävention und -arbeit, Zürich: (o.J.  2006), S. 110 (Link)
Evelyn Holst: "Der Liebe Last", Krimi, Virulent, Berlin: 2012, ebook, Motto (S. 3) (Link)
Markus M. Ronner: "Sprüche und Widersprüche. Ganz Ihrer Meinung – nur andersherum." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. August 2018, Feuilleton (Link)

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Dank:
Ich danke Wolfgang Gruber und Ralf Bülow für ihre Recherchen.

Korr. Fassung

Mittwoch, 8. August 2018

"Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich, Artur." Arthur Schnitzler (angeblich)

Plakat von Artur Dieckhoff, Hamburg, Anfang 1980er Jahre; Foto: copyright Artur Dieckhoff.

Die Devise "Lebe wild und gefährlich" hat nichts mit Arthur Schnitzler und Arthur Rimbaud zu tun, sondern wurde von dem Hamburger Künstler und Schriftsetzer Artur Dieckhoff Anfang der 1980er Jahre für ein Plakat geprägt, das er wild an Hamburger Hauswänden plakatierte.

Das A1 große Plakat mit der englischen Schrift "Caslon" war Teil der Aktion "Poesie im öffentlichen Raum", die Artur Dieckhoff seit den 1970er Jahren (mit Unterbrechungen) bis heute mit "Sprachfetzen" inszeniert.

Der Slogan "Lebe wild und gefährlich" wurde Ende der 1980er Jahren auch durch eine Postkarte verbreitet, die von  dem Autor und späterem Gründer der Agentur kulturrecycling, Werner Clemens-Walter, produziert wurde.
Ansichtskarte, Ende 1980er Jahre; copyright: kulturrecycling, Werner Clemens-Walter.

Der Text dieser Postkarte ist identisch mit Artur Dieckhoffs Plakat und das starke Foto von dem selbstsicher grantig blinzelnden Volksschüler in Strumpfhosen, kurzer Hose und Wollmütze ist der Ausschnitt eines Fotos,  das der Vater Clemens-Walters in den 1920er Jahren in Niedersachsen aufgenommen hat. Das Original ist im Besitz von Werner Clemens-Walter.
Clemens Walter, 1991. (Mit dem vollständigen Foto der Postkarte.)
Der Spruch wurde in den folgenden Jahren oft kopiert, variiert, übernommen, auf Transparente gemalt und Jutta Ditfurths 1991 erschienene radikalökologische Kampfschrift trägt als erstes Buch den Titel "Lebe wild und gefährlich", fünf weitere Bücher mit diesem Titel von anderen Autoren folgen in den nächsten Jahrzehnten.

Im 21. Jahrhundert wird der Text der Postkarte  und des Plakats - ohne ersichtlichen Grund - öfters Arthur Schnitzler unterschoben. Zuerst nur in Internetforen, später auch in der ZEIT, in der Süddeutschen Zeitung und in Büchern

Angeblich habe der Wiener Autor Arthur Schnitzler dem französischen Dichter Arthur Rimbaud auf die Frage, was er tun solle, geantwortet: "Lebe wild und gefährlich, Arthur."

Diese Anekdote ist um das Jahr 2004,  mehr als 100 Jahre nach Arthur Rimbauds Tod,  in Internetforen vielleicht als Scherz entstanden. Es gibt keine einzige ernstzunehmende Quelle für diese Legende, wie auch die Kenner und Herausgeber von Arthur Schnitzlers Werken, Martin Anton Müller und Peter Michael Braunwarth,  bestätigen.

Es gab keinerlei Verbindung zwischen Arthur Schnitzler und dem um acht Jahre älteren Arthur Rimbaud, der als Dichter schon verstummt war und als Geschäftsmann in Afrika lebte, als Arthur Schnitzler im Jahr 1885 zu publizieren begann.

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Arthur Schnitzler:


2005
  • "Diese berühmte, zum Postkartenspruch gewordene Empfehlung stammt von dem Wiener Schriftsteller Arthur Schnitzler."

2007
  • "Das Schwarzweißfoto hängt ein wenig versteckt in der Ecke und zeigt einen kleinen Jungen mit Pudelmütze. Daneben steht: 'Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich.' Vor 20 Jahren fand sich dieses Motiv mit dem Zitat des Schriftstellers Arthur Schnitzler in vielen studentischen Wohngemeinschaften."
  • Kai-Hinrich Renner: Gebührensheriff unter Beschuss, DIE ZEIT 06/2007, 1. Februar 2007 (Link)
In den folgenden Jahren wurde die Anekdote ausgeschmückt und eine Freundschaft zwischen Arthur Schnitzler und Arthur Rimbaud erfunden:

2014
  • "Arthur Rimbaud, Schriftsteller, Dichter, führte ein ausschweifendes Leben im Paris des 19. Jahrhunderts, zu einer Zeit als Zukunft noch nach Verheißung klang. Man tinderte nicht, sondern begegnete seinen zukünftigen Liebhabern auf der Straße und in kleinen verrauchten Cafés, nur um kurze Zeit später von der Syphilis dahingerafft zu werden. Die Menschen hatten Angst vorm Sterben und darum lebten sie. Als ob er es nicht gewusst hätte, fragte Rimbaud seinen Freund Arthur Schnitzler, Schriftsteller, Dandy, Erotiker („Der Reigen“): “Was soll ich tun, Arthur?” Und Schnitzler antwortete: “Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage Dir, lebe wild und gefährlich Arthur.” Als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Und wahrscheinlich ist sie das. "
    milchmaedchenmonolog.de

2018
  • „Du fragst mich was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich, Artur.“ Das antwortete der österreichische Arthur Schnitzler seinem französischen Freund und Kollegen Arthur Rimbaud auf dessen Frage „Was soll ich tun?“. Das war im 19. Jahrhundert – und tatsächlich starb der schon als Kind wild grabende Rimbaud jung. Er hatte mit seiner Frage wohl nur eine Bestätigung für sein Lebensprinzip bekommen wollen. Viel später landete die tröstliche Antwort auf einer Postkarte an vielen Kühlschränken von Studenten-WG’s und tröstete dort weiter. Auch ich tröste mich gern mit diesem Versprechen, wenn ich vor einer Entscheidung stehe, die mich zwingt, zwischen Moral und Lust zu wählen.
  • "'Lebe wild und gefährlich' – ein Zitat und ein Versprechen" - Steady News (Link)

Pseudo-Arthur-Schnitzler-Zitat.


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Die Devise "Gefährlich leben!" stammt von Friedrich Nietzsche und wurde von linken Aktivisten, Studenten und Künstlern, aber auch von Benito MussoliniSSlern und einigen Soldaten (Link) begeistert übernommen.

Friedrich Nietzsche:

  • "Denn, glaubt es mir! — das Geheimniss, um die grösste Fruchtbarkeit und den grössten Genuss vom Dasein einzuernten, heisst: gefährlich leben! Baut eure Städte an den Vesuv! Schickt eure Schiffe in unerforschte Meere! Lebt im Kriege mit Euresgleichen und mit euch selber! Seid Räuber und Eroberer, so lange ihr nicht Herrscher und Besitzer sein könnt, ihr Erkennenden! Die Zeit geht bald vorbei, wo es euch genug sein durfte, gleich scheuen Hirschen in Wäldern versteckt zu leben! Endlich wird die Erkenntniss die Hand nach dem ausstrecken, was ihr gebührt: — sie wird herrschen und besitzen wollen, und ihr mit ihr!"
  • Friedrich Nietzsche: "Die fröhliche Wissenschaft", § 283. Erste Veröffentlichung 10. September 1882 (Link)




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Quellen:

E-Mail von Werner Clemens-Walter vom 10. August 2018
E-Mail von Artur Dieckmann vom 12. August 2018
E-Mail von Martin Anton Müller vom 9. August 2018
Friedrich Nietzsche: "Die fröhliche Wissenschaft", § 283. Erste Veröffentlichung 10. September 1882. (Link) in: Nietzsche Werke, Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Teil 5, 2. Band, Walter de Gruyter, Berlin: 1973, S. 206 
Clemens Walter: "Nur die Mutigen entkommen: die einzig wahre Geschichte von Artur u. Artur; Der Chronik Erster Teil. Kindheit, Aufbruch, Verwandschaft u. Verplichtung", Transit, Berlin: 1991
Clemens Walter: "Menschen wie wir werden überall gebraucht. - Die einzig wahre Geschichte von Zora, Arthur u. Artur - Der Chronik zweiter Teil. Irrungen, Wirrungen und frühes Glück", Transit, Berlin: 1991
Clemens Walter: "Mit Artur durchs Jahr. Wild und gefährlich." Transit, Berlin: 1992Jutta Ditfurth: "Lebe wild und gefährlich - Radikalökologische Perspektiven". Kiepenheuer u. Witsch. Köln: 1991
Frühe Erwähnung 1986, S. 17 (Link) Symposium TAZ (Link)
Kai-Hinrich Renner: Gebührensheriff unter Beschuss, DIE ZEIT 06/2007, 1. Februar 2007 (Link)  

Chronologie der falschen Zuschreibungen:

 
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Dank:
Ich danke Martin Anton Müller für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat und Peter Michael Braunwarth für seine Hilfe. Besonders danke ich Werner Clemens-Walter für seine Auskunft zur Entstehung der Postkarte und herzlich danke ich auch Artur Dieckhoff für die Geschichte des Plakats sowie Tobias Blanken für seine Recherche-Tipps und die Postkarte.


Letzte Änderung: 15/9 2022.
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Anhang

"Live Fast Die Young":


Ralf Bülow (@RalfBuelow) 9. August 2018,