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Montag, 20. November 2017

"... nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch ..." Theodor W. Adorno

Dieses umstrittene, wahrscheinlich meistizitierte, provokative Adorno-Zitat ist das zentrale Element eines Satzes von ingesamt 37 Wörtern, die bei der Interpretation des Zitats mitgedacht gehören.

Theodor W. Adorno:


1949/1951
  • "Noch das  äußerste Bewusstsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten. Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben." 
    Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft
1962

  • "Den Satz, nach Auschwitz noch Lyrik zu schreiben, sei barbarisch, möchte ich nicht mildern; negativ ist darin der Impuls ausgesprochen, der die engagierte Dichtung beseelt."
    Theodor W. Adorno: Engagement 

1966
  • "Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen. Sein Weiterleben bedarf schon der Kälte, des Grundprinzips der bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen wäre: drastische Schuld des Verschonten. Zur Vergeltung suchen ihn Träume heim wie der, daß er gar nicht mehr lebte, sondern 1944 vergast worden wäre, und seine ganze Existenz danach lediglich in der Einbildung führte, Emanation des irren Wunsches eines vor zwanzig Jahren Umgebrachten."
    Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Meditationen zur Metaphysik
Über dieses Zitat wurde jahrzehntelang schon viel Falsches und Richtiges geschrieben. Einen kurzen Überblick dazu findet man auf Wikipedia, lesenswert ist auch Burkhardt Lindners Artikel: "Was heißt: Nach Auschwitz? Adornos Datum" (Link).
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Quellen:
Burkhardt Lindner: "Was heißt: Nach Auschwitz? Adornos Datum", in: Stephan Braese ua. (Hg.): Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust. Campus Verlag, Frankfurt / New York: 1998, S. 283ff. (Link)
Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Band  10.1. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Suhrkamp, Frankfurt: 1977, S. 30. 
Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Suhrkamp, Frankfurt: 1973, S. 355
Theodor W. Adorno: Engagement (Vorerst zitiert nach Wikipedia) 
Wikipedia

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Artikel in Arbeit. Zitate noch nicht überprüft.

Freitag, 25. August 2017

"Ich fürchte nicht die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“ Theodor W. Adorno (angeblich)

Pseudo-Adorno-Zitat.

Seit 2007 wird dieses Zitat - immer ohne genaue Quellenangabe - Theodor W. Adorno unterschoben. Obwohl es schon viele gesucht haben, hat es noch nie jemand in einer Schrift oder in einem Interview von Adorno gefunden.

Es ist also ein Falschzitat, und könnte durch die ungenaue Erinnerung an einen Satz Theodor W. Adornos aus seinem berühmten Radiovortrag: "Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?" (1959) entstanden sein. Bazon Brock zum Beispiel bezieht sich 2008 in seiner misslungenen Version (Link) dieses Zitats auf eine Äußerung Adornos "1959 im Rundfunk".

Theodor W. Adorno, 1959:
  • "Ich möchte nicht auf die Frage neonazistischer Organisationen eingehen. Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. Unterwanderung bezeichnet ein Objektives; nur darum machen zwielichtige Figuren ihr come back in Machtpositionen, weil die Verhältnisse sie begünstigen." (Link)
Theodor W. Adorno, 1959, ab 2:35. Diese Tonbandaufnahme unterscheidet sich in einigen Stellen von der gedruckten, etwas gekürzten Fassung des Vortrags.


Die Wendung vom "Faschisten in der Maske der Faschisten" klingt so holprig wie "Monarchisten in der Maske von Monarchisten" oder "Liberale in der Maske von Liberalen" und ist einem Stilisten wie Theodor W. Adorno nicht zuzutrauen.

Der Journalist Peter Mühlbauer war anscheinend der Erste, der diese Wendung Adorno zugeschrieben hat. Ob Peter Mühlbauer das Zitat selbst geprägt oder von einer unbekannten Person übernommen hat, weiß ich nicht.

2007
  • "Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr des Faschisten in der Maske des Faschisten, sondern vor dessen Rückkehr in der Maske des Demokraten." 
    Peter Mühlbauer: "Unbewusstes Battle Reenactment." Telepolis, 4. Juni 2007 (Link)
2008
  • "Theodor W. Adorno hat 1959 im Rundfunk geäußert, daß er nicht die Wiederkehr des Faschismus als Schlägerbande fürchte, die nach SA-Manier das Volk aufmische, sondern er fürchte die Wiederkehr des Faschismus als Demokratie." 
    Bazon Brock, 2008 (Link)

2008 ist dieses Pseudo-Adorno-Zitat im Internet schon weit verbreitet und dokumentiert ist erstmals auch ein vergeblicher Versuch, die Stelle in einem Werk von Adorno zu finden. (Link)

Varianten des Pseudo-Theodor-W.-Adorno-Zitats:

  • "Ich habe keine Angst vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten."
  • Ich habe keine Angst vor Faschisten, in der Maske von Faschisten. Ich habe Angst vor Faschisten in der Maske von Demokraten."
  • "Ich fürchte nicht die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern die Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten."
  •  "Theodor W. Adorno hat 1959 im Rundfunk geäußert, daß er nicht die Wiederkehr des Faschismus als Schlägerbande fürchte, die nach SA-Manier das Volk aufmische, sondern er fürchte die Wiederkehr des Faschismus als Demokratie." 
  • "Ich fürchte nicht die Wiederkehr des Faschismus gegen die Demokratie, sondern ich fürchte die Wiederkehr des Faschismus als Demokratie."
  • "I fear the return of fascists in the mask of democrats, not the return of fascists in the mask of fascists." 
  • "I don't fear the return of fascists in the mask of fascists, but I fear their return in the mask of democrats…"

Pseudo-Theodor-W.-Adorno-Zitat.


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Quellen:
Google
Twitter
Theodor W. Adorno: "Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?" In: Gesammelte Schriften 10.2. Kulturkritik und Gesellschaft II: Eingriffe. Stichworte. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1977, S. 555-572 (Link)
Klaus Baum: "Ein Adorno-Zitat?", 29. Oktober 2008 klausbaum.wordpress.com
Peter Mühlbauer: "Unbewusstes Battle Reenactment." Telepolis, 4. Juni 2007 (Link)
Bazon Brock: "Lustmarsch durchs Theoriegelände – Musealisiert Euch!", Du Mont, Köln: 2008 (Link)
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