Donnerstag, 16. August 2018

"Eines Morgens wachst Du nicht mehr auf, die Vögel aber singen, wie sie gestern sangen. Nichts ändert diesen Tagesablauf. Nur Du bist fortgegangen. Du bist nun frei, und unsere Tränen wünschen Dir Glück." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Goethe-Zitat.
Dieses angebliche Goethe-Zitat ist fast zur Gänze eine Erfindung des 21. Jahrhunderts und taucht um 2007 das erste Mal in den digitalisierten Texten auf.  Es ist anonymen Ursprungs und wird seit ein paar Jahren auf vielen Traueranzeigen und in einigen Anthologien fälschlich Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben.

In Goethes Schriften ist dieses Zitat nicht zu finden, worauf auch der Literaturwissenschaftler Ulrich Seelbach in seiner verdienstvollen Sammlung moderner Trauer- und Trostsprüchen hinwies (Link).

Nur der letzte Satz im Pseudo-Goethe-Gedicht stammt aus einem Trostbrief, den der 21jährige Goethe an seine Großmutter schrieb, als er im Februar 1771 in Straßburg vom Tod seines Großvaters erfuhr:

Johann Wolfgang von Goethe an seine Großmutter Anna Margaretha Textor, 1771:

  • " ... Er ist nun frey und unsre Tränen wünschen ihm Glück und unsre Traurigkeit versammelt uns um Sie liebe Mama, uns mit Ihnen zu trösten, lauter Hertzen voll Liebe! Sie haben viel verlohren, aber es bleibt Ihnen viel übrig. Sehen Sie uns, lieben Sie uns und seyn Sie glücklich.

    Genießen Sie noch lange auch der zeitlichen Belohnung, die Sie so reichlich an unserm krancken Vater verdient haben, der hingegangen ist es an dem Ort der Vergeltung zu rühmen, und der uns als Denckmale seiner Liebe zurückgelassen hat, Denckmale der vergangnen Zeit, zur traurigen aber doch angenehmen Erinnerung.

    Und so bleibe Ihre Liebe für uns wie sie war, und wo viel Liebe ist, ist viel Glückseeligkeit. Ich bin mit recht warmem Herzen
    Ihr zärtlicher Enckel / J. W. Goethe" (Link)
Aus: "Er ist nun frey und unsre Tränen wünschen ihm Glück", wurde in dem Pseudo-Goethe-Gedicht: "Du bist nun frei, und unsere Tränen (Variante: Träume) wünschen Dir Glück", aus "Er" wurde "Du" und aus "Tränen" wurden in einigen Versionen des Trauerspruchs "Träume".


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Quellen:
Google
Arbeitsgruppe von Ulrich Seelbach von der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld: "Trauersprüche", 2009
Lexikon der Goethe-Zitate. Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991
Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. IV. Abteilung: Goethes Briefe, Bd. 1–50, Weimar: 1887–1912. Band 1, S. 255 (Link);   (Link)
wer-weiss-was.de/t/traueranzeigen-psdeudogoethe

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Johann Wolfgang von Goethe:
Michael George: "Worte und Briefe der Anteilnahme: Musterreden für Trauerfeiern - Textvorlagen für Karten und Briefe - Zitate und Aphorismen", Südwest Verlag, München: 2009 ebook
Frühe Zuschreibung 2008: wer-weiss-was.de
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Dank:
Ich danke Ulrich Seelbach und der unbekannten Kreszenz, die auf Goethes Brief aufmerksam machte.

Artikel in Arbeit.