Pseudo-Karl-Kraus-Zitat. |
Das war jahrzehntelang das beliebteste Aperçu, das dem Polemiker Karl Kraus fälschlich zugeschrieben wurde.
In seinen Schriften hat es niemand so oder so ähnlich entdecken können.
Varianten des Pseudo-Karl-Kraus-Zitats:
- "Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache."
- "Was die Österreicher von den Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache."
- "Was uns voneinander trennt, ist die gemeinsame Sprache."
- "Das Einzige, was die Österreicher und Deutschen trennt, ist die deutsche Sprache."
- "Der größte Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern ist die gemeinsame Sprache!"
Mit der falschen Zuschreibung an Karl Kraus hat anscheinend der Literaturwissenschaftler Ernst Alker in der dritten Auflage seiner fast 1000seitigen deutschen Literaturgeschichte begonnen:
1969:
- "Das von Karl Kraus, dem getreuesten und
liebevollsten Hasser Österreichs, dem getreuesten und liebevollsten
Diener der deutschen Sprache, geprägte Aperçu, Deutsche und
Österreicher wären durch die gemeinsame Sprache, getrennt erhellt eine schicksalhafte Gegebenheit."
Ernst Alker: "Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert (1832-1914)." Alfred Kröner Verlag, 3. veränderte und verbesserte Auflage, Stuttgart: 1969, S. 659 (Link)
1973
- "Nun, Karl Kraus hat einmal gesagt: 'Der größte Unterschied zwischen Österreichern und Deutschen ist die gemeinsame Sprache.'"
Neue Deutsche Literatur, Volk und Welt, 1973[?], S. 6 (Link)
Die falsche Zuschreibung an Karl Kraus ging also von Literaturwissenschaftlern - und nicht wie so oft von literarischen Laien - aus, und wurde ab den 1980er Jahren von Autoren, Historikern und Journalist:innen weiter verbreitet.
Viele haben in den folgenden Jahren vergeblich nach dem wahren Urheber dieses Bonmots gesucht, Robert Sedlaczek hat ihn im Jahr 2011 schließlich gefunden:
Der österreichische Kabarettist Karl Farkas prägte 1957 eine Variante dieses Aphorismus, und nicht Karl Kraus, dem das Zitat nachweisbar seit 1969 untergeschoben wurde.
Karl Farkas:
- "Aber wir Österreicher unterscheiden uns doch von den Deutschen durch so mancherlei, besonders durch die gleiche Sprache."
Karl Farkas, 30. Dezember 1957, ORF (Link)
Im englischen Sprachraum wird seit 1942 ein ähnliches Bonmot dem irischen Dramatiker Bernard Shaw zugeschrieben:
- "Britain and America Are Two Nations Divided by a Common Language". (quoteinvestigator.com)
Dieses angebliche Bernard-Shaw-Zitat könnte von einem Satz aus Oscar Wildes Erzählung “The Canterville Ghost” angeregt worden sein:
Oscar Wilde: "The Canterville Ghost" (1887):
- "Indeed, in many respects, she was quite English, and was an excellent example of the fact that we have really everything in common with America nowadays, except, of course, language." (Link)
- "So war sie wirklich in vieler Hinsicht völlig englisch
und ein vorzügliches Beispiel für die Tatsache, daß wir heutzutage alles
mit Amerika gemein haben, ausgenommen natürlich die Sprache."
Oscar Wilde: "Das Gespenst von Canterville", übersetzt von Franz Blei. (Link)
Quellen:
Über Karl Farkas:
Robert Sedlaczek: "Nicht alles Gute kommt von Kraus", "Wiener Zeitung", 22. Juli 2011.
Zitat-Sammlungen, in denen der Aphorismus immer noch irrtümlich Karl Kraus zugeschrieben wird; zum Beispiel:
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Letzte Änderungen: 26/10 2022 (Formulierungen; 1969.)
Über Karl Farkas:
Robert Sedlaczek: "Nicht alles Gute kommt von Kraus", "Wiener Zeitung", 22. Juli 2011.
Über das englische Zitat und dessen Ursprung bei Oscar Wilde und eventuell bei Bernard Shaw:
Garson O'Toole (Quote Investigator): "Britain and America Are Two Nations Divided by a Common Language. George Bernard Shaw? Mallory Browne? Raymond Gram Swing? Apocryphal?" 2016
(Link)
Oscar Wilde: "Das Gespenst von Canterville: The Canterville Ghost" - Bilingual Englisch-Deutsch, Übersetzung: Franz Blei, Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform: 2015 ebook (Link)
Garson O'Toole (Quote Investigator): "Britain and America Are Two Nations Divided by a Common Language. George Bernard Shaw? Mallory Browne? Raymond Gram Swing? Apocryphal?" 2016
(Link)
Oscar Wilde: "Das Gespenst von Canterville: The Canterville Ghost" - Bilingual Englisch-Deutsch, Übersetzung: Franz Blei, Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform: 2015 ebook (Link)
Ernst Alker: "Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert (1832-1914)." Alfred Kröner Verlag, 3. veränderte und verbesserte Auflage, Stuttgart: 1969, S. 659 (Link) [In der Ausgabe von 1962 ist das Pseudo-Karl-Kraus-Zitat noch nicht enthalten.]
Zitat-Sammlungen, in denen der Aphorismus immer noch irrtümlich Karl Kraus zugeschrieben wird; zum Beispiel:
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Dank:
Ich bin Robert Sedlaczek und Garson O'Toole zu Dank verpflichtet.
Artikel in Arbeit.
Letzte Änderungen: 26/10 2022 (Formulierungen; 1969.)