Sonntag, 10. Juni 2018

"Toleranz ist die letzte Tugend einer untergehenden Gesellschaft." Aristoteles (angeblich)


Pseudo-Aristoteles-Zitat.

Dieses in konservativen und rechtsextremen Kreisen beliebte Zitat kann nicht von Aristoteles stammen, da der Begriff "Toleranz" erst am Ende des Mittelalters aufkam, und es stammt auch nicht von Aristoteles, sondern wurde am Ende des 20. Jahrhunderts in Amerika geprägt.

Dieses Kuckuckszitat, mit dem man seine Geringschätzung für die Idee der Toleranz philosophische Autorität verleihen will, geht auf  den konservativen amerikanischen Prediger D. James Kennedy zurück, der es allerdings nicht Aristoteles unterschob:

D. James Kennedy


1999
2000

2007
  • "Tolerance is the last virtue of a depraved society. When you have an immoral society that has blatantly, proudly, violated all of the commandments of God, there is one last virtue they insist upon: tolerance for their immorality."
    D. James Kennedy, 2007,  Christianpost.com
Seit dem Jahr 2007 wird dieses Zitat in leicht abgewandelten Versionen auch auf Deutsch Aristoteles unterschoben.


Pseudo-Aristotle quote.
_______

Quellen:
D._James_Kennedy: "The New Tolerance", The Christian Post, 17. Mai 2007 (Christianpost)
D. James Kennedy: "Led by the Carpenter: Finding God's Purpose for Your Life", Thomas Nelson Publishers, Nashville: 1999, S. 209
D. James Kennedy: "Solving Bible Mysteries: Unraveling the Perplexing and Troubling Passages of Scripture", The Kennedy Collection, Nashvillle: 2000, ebook (Link)

historum.com/general-history/22873-fake-quotes-5.html
answers.yahoo.com
merriam-webster.com/
wikiquote
Christian Feichtinger: "Warum Toleranz vielleicht doch nicht die Tugend einer untergehenden Gesellschaft ist", derStandard.at, 26. August 2014 (Link)
____
Dank:
Ich danke Ralf Bülow sehr für die zusätzlichen Quellenfunde.

Freitag, 8. Juni 2018

"I hate being Bi-Polar / it's awesome". Kanye West (angeblich)

Dieser Witz ist ist seit mehr als 10 Jahren in verschiedenen Versionen im Usenet und seit ein paar Jahren als Aufschrift von T-Shirts und Kaffeetassen verbreitet.

Die Urheberin oder der Urheber des Spruchs, den der Rapper Kanye West 2018 auf dem Cover seines Albums "ye" verwendet, ist unbekannt.


2007  "I hate being bipolar. It's fantastic."  www.forum.hr/

2012 "I hate being bipolar, it's great." twitter

2013  "I hate being bipolar. It's amazing." books.google

2013 "I hate being bipolar, it's fucking awesome!" twitter

2014  "I hate being bipolar. It's awesome!" books.google 

  • "Ich hasse es Manisch-depressiv zu sein, es ist großartig."
  • "Ich hasse es, bipolar zu sein, es ist fantastisch".

Sonntag, 3. Juni 2018

"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte." Chinesisches Sprichwort (angeblich)

Dieses Sprichwort hat seine Wurzeln im deutschen Sprachraum im 19. Jahrhundert, wird aber seit 100 Jahren als alte chinesische oder japanische Weisheit bezeichnet, auch wenn asiatische Ursprünge dieser Weisheit bis heute nicht nachgewiesen werden konnten.

 Auf Deutsch tauchen im 19. Jahrhundert Wendungen wie, "ein Kuss sagt mehr als tausend Worte", "die Röte ihrer Wangen sagen mehr als tausen Worte" auf,  und seit 1810 kennt man die Wendung "Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte." 

1914 erscheint die englische Übersetzung dieses Aphorismus in der Version "A look is worth a 1000 words" in einer Immobilien-Annonce der New York Times als angebliches japanisches Sprichwort.

1921 bringt die Washington Post eine Annonce mit den Worten: ‘The picture is worth ten thousand words’ als angeblich altes chinesisches Sprichwort.

Auf französisch steht in einem Text aus dem Jahr 1889 der Aphorismus "ein Bild sagt mehr als tausend Worte" ohne jeglichen Hinweis auf China oder Japan ...



Artikel in Arbeit. Fortsetzung und Nachweise folgen.


 _________
Quellen:
 folgen

Donnerstag, 31. Mai 2018

"Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt." Georg Christoph Lichtenberg

Dieser Aphorismus des Mathematikers und Physikers Georg Christoph Lichtenberg aus seinen Sudelbüchern wird paradoxer Weise oft entstellt zitiert.

Manchmal wird ein Beistrich oder ein Artikel hinzugefügt, manchmal wird das Wort "Unwahrheiten" durch das Wort "Lüge" ersetzt und manchmal wird das entstellte Zitat sogar Kurt Tucholsky unterschoben.


Georg Christoph Lichtenberg

  • "Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt." Sudelbücher, H 24 (Link)

Entstellte Zitate:

  1. "Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt."
  2. "Die gefährlichsten Unwahrheiten sind die Wahrheiten, mäßig entstellt." (Duden)
  3. "Die gefährlichste Unwahrheit ist die Wahrheit mäßig entstellt."
  4. "Die gefährlichste Lüge ist die Wahrheit, mäßig entstellt".  
  5. "Keine Lüge ist gefährlicher als die Wahrheit 'mäßig' entstellt."
  6. "Keine Lüge ist gefährlicher als die Wahrheit, mäßig entstellt".
  7. "Die schlimmste Form der Lüge ist die Wahrheit, mäßig entstellt." 
  8. "Die gefährlichste Form der Lüge ist die mäßig entstellte Wahrheit." 
  9. "ein System, das Kurt Tucholsky charakterisiert: 'Die schlimmste Lüge ist die Wahrheit – mäßig entstellt.'" (Link) 
  10. "hat schon Kurt Tucholsky in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts treffend beschrieben: Die schlimmste Lüge ist die Wahrheit, mäßig entstellt."

Übersetzungen:


  • "The most dangerous untruths are truths slightly distorted."
  • "The most dangerous of all falsehoods is a slightly distorted truth."
  • "The most dangerous untruths are truths moderately distorted." 
  • "The most dangerous of lies is a truth moderately distorted." 

Twitter:



______
Quellen:
Georg Christoph Lichtenberg: "Schriften und Briefe." 2. Band. Herausgegeben von Wolfgang Promies, (1971 Hanser Verlag), Zweitausendeins, Frankfurt: 1994, Sudelbücher II, 1784 – 1788, H  24, S. 181 (Link)
Google
Google

https://twitter.com/krieghofer/status/1002251507255992320

Mittwoch, 30. Mai 2018

"Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andere ihn begehen." Georg Christoph Lichtenberg (angeblich)

Bildspruch Spruchbild www.spireo.de
Pseudo-Lichtenberg quote.

Dieses durch unseriöse Zitatsammlungen weit verbreitete Zitat wird dem 1799 verstorbenen Mathematiker, Physiker und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg seit 40 Jahren unterschoben.

Noch niemand hat dieses Kuckuckszitat in einer Schrift des Göttinger Gelehrten entdecken können, weswegen es von der Göttinger Lichtenberg-Gesellschaft in ihre Liste der fälschlich Georg Christoph Lichtenberg zugeschriebenen Zitate aufgenommen wurde (pdf ).

Pseudo-Lichtenberg quote.


________
Quellen:
Google
Lichtenberg-Gesellschaft: "'Lichtenbergs Enten.' Fälschlich Georg Christoph Lichtenberg zugeschriebene Zitate." pdf 
Beispiele für falsche Zuschreibungen an Georg Christoph Lichtenberg:
1978 (erstmals): Industrie-Anzeiger, Band 100, Ausgaben 61-78, Girardet: 1978, S. 52 (Link)
2003: Ingo Reichardt, Anne Reichardt: "Treffende Worte: 3000 Zitate für Führungskräfte." Linde Verlag, Wien: 2003, S. 42 (Link)
2010: "Zitate für Manager: Immer die richtigen Worte schnell zur Hand", Gabler, Wiesbaden: (2000) 2. Auflage 2010, S. 110 (Link)
2010: Hans Werner Wüst: "Zitate u. Sprichwörter", Bassermann, München: 2010 ebook  (Link)
spireo.de/spruchbild/spruchbild-gif-animation 

"Wer einen Engel sucht und nur auf die Flügel schaut, könnte eine Gans nach Hause bringen.“ Georg Christoph Lichtenberg (angeblich)


Pseudo-Lichtenberg quote.
Dieses Kuckuckszitat taucht  in den digitalisierten Texten erstmals im Jahr 2002 auf (Link), und wird seither (immer ohne Quellennachweis) durch diverse unseriöse Zitatsammlungen weiterverbreitet.

Es ist ein Kuckuckszitat, weil es in keiner Schrift des Göttinger Physikers Georg Christoph Lichtenberg und in keiner seriösen Zitatsammlung zu finden ist.

Die Göttinger Lichtenberg-Gesellschaft hat es in ihre Liste der fälschlich zugeschriebenen Lichtenberg-Zitate aufgenommen (Link).

Vielleicht hat der Tiroler Schriftsteller Raoul Schrott diesen Spruch Georg Christoph Lichtenberg als Erster unterschoben (Link).
________
Quellen:
Google Statistik: "Ungefähr 2 510 Ergebnisse"
Lichtenberg-Gesellschaft: "'Lichtenbergs Enten.' Fälschlich Georg Christoph Lichtenberg zugeschriebene Zitate." pdf 
Der Spruch wird auch Jerry Lewis (Link) zugeschrieben.
aphorismen.de/zitat/14405
Beispiele für falsche Zuschreibungen an Lichtenberg:
Raoul Schrott:  "Von Schutzengeln und ihren Menschen: Geschichten und Bilder. " Sanssouci im Verlag Nagel u. Kimche, Zürich: 2002, S. 5  (Link)
Ingo Reichardt, Anne Reichardt: "Treffende Worte: 3000 Zitate für Führungskräfte." Linde Verlag, Wien: 2003, S. 157 (Link) 
Gutezitate.com
Zitate.net

Donnerstag, 24. Mai 2018

"Gott sei's gedankt, in der nächsten Welt wird es keinen Kaffee geben. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als auf Kaffee zu warten, wenn er noch nicht da ist." Immanuel Kant (angeblich)


Entstelltes Immanuel-Kant-Zitat.
In seinen letzten Lebensjahren war der Königsberger Philosoph Immanuel Kant verwirrt, er sprach manchmal nur mehr undeutlich und aus dieser Zeit sind einige Aussprüche Kants über das  Kaffeetrinken überliefert, die später etwas verändert zitiert wurden.

  • 1804: "Nun, darüber kann ich sterben; und in jener Welt will ich keinen Kaffee trinken." 
  • 1827: "Well, one can die after all: it is but dying; and in the next world, thank God! there is no drinking of coffee, and consequently no — waiting for it."
  • 2015: "Gott sei's gedankt, in der nächsten Welt wird es keinen Kaffee geben. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als auf Kaffee zu warten, wenn er noch nicht da ist."

Immanuel Kant konnte in den letzten Jahren seines Lebens nicht mehr klar denken; er hat 1799 - fünf Jahre vor seinem Tod - seine Freunde gebeten, ihn nunmehr wie ein Kind zu behandeln.

Nach einem Sturz verzichtete er auch auf seine täglichen Spaziergänge und gestattete es sich in seinem letzten Lebensjahr Kaffee zu trinken, den er angeblich sein Leben lang schätzte, aber nie trank, da er das "Öl des Kaffees" für schädlich hielt.


Wie sein Schüler und Freund Wasianski berichtete, blieb auch der alte  Immanuel Kant weiter höflich und freundlich, aber er wurde extrem ungeduldig und jede Bitte sollte "auf der Stelle" erledigt werden. Eine Minute zu warten schien dem achtzigjährigen, altersdementen Kant wie eine Ewigkeit und es war nicht leicht für ihn, die Zeit zu ertragen, die vom Moment der Kaffeebestellung verging, bis der Kaffee endlich serviert und genug ausgekühlt war.

Aus diesem letzten Lebensjahr Kants sind einige seltsame Kaffee-Sprüche überliefert, die heute oft ohne den notwendigen Hinweis auf das problematisch gewordene Zeitgefühl des alten Philosophen zitiert werden.


Ehregott A. Ch. Wasianski: "Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren", 1804:


  • "Pfeilschnell eilte der Bediente, den Kaffee in das schon kochende Wasser zu schütten, ihn aufsieden zu lassen und heraufzubringen; doch währte ihm diese kurze dazu erforderliche Zeit unausstehlich lange. Auf jede Vertröstung erwiderte er etwas anderes, und war wegen Abänderung der Formeln nie verlegen.

    Sagte man: Der Kaffee wird gleich gebracht werden, so erwiderte er: „Ja, wird; das ist der Knoten, daß er erst gebracht werden wird". Hieß es: Er kommt bald! so fügte er hinzu: „Ja! bald, eine Stunde ist auch bald, und so lange hat es schon nach der Zeit gedauert, als es auch bald hieß". Endlich sagte er mit stoischer Fassung: 'Nun, darüber kann ich sterben; und in jener Welt will ich keinen Kaffee trinken'.

    Er stand auch wohl vom Tische auf und rief zur Türe hinaus, und das ziemlich verständlich: 'Kaffee! Kaffee!' Hörte er endlich den Diener die Treppe heraufkommen, so rief er jauchzend: 'Ich sehe Land!' wie der Matrose vom Mastkorbe.

    Auch das Kaltwerden des Kaffees erforderte eine für ihn zu lange Zeit, ob er gleich in mehrere Tassen umgegossen wurde. War er endlich zum Genuß völlig fertig, so hörte man auch wohl ein 'Heisa Courage meine Herren!', bei dessen Aussprache, besonders des zweiten Wortes, er das r aus Freude außerordentlich schärfte, und wenn alles genossen war, ein: 'Und hiermit Basta!' welchen Ausdruck er mit einem Tempo, mit dem er die Tasse stark hinsetzte, gewöhnlich begleitete."
Der englische Schriftsteller Thomas De Quincey hat die deutschsprachigen Erinnerungen der Freunde und Schüler von Immanuel Kant zu dem Buch "The Last Days of Immanuel Kant" verarbeitet, das sich weitgehend an die Vorlagen hielt, aber manche Zitate mit kleinen Zusätzen ergänzte.

Thomas De Quincey: "The Last Days of Immanuel Kant" 1827:


  • "Sometimes it would happen, that the interest of conversation carried him past the time at which he felt the craving for it; and this I was not sorry to observe, as I feared that coffee, which he had never been accustomed to, might disturb his rest at night. But, if this did not happen, then commenced a scene of some interest. Coffee must be brought ‘upon the spot,’ (a word he had constantly in his mouth during his latter days,) ‘in a moment.’ And the expressions of his impatience, though from old habit still gentle, were so lively, and had so much of infantine naïveté about them, that none of us could forbear smiling.

    Knowing what would happen, I had taken care that all the preparations should be made beforehand; the coffee was ground; the water was boiling; and the very moment the word was given, his servant shot in like an arrow, and plunged the coffee into the water. All that remained, therefore, was to give it time to boil up. But this trifling delay seemed unendurable to Kant. All consolations were thrown away upon him: vary the formula as we might, he was never at a loss for a reply. If it was said—‘Dear Professor, the coffee will be brought up in a moment.’—’Will be!’ he would say, ‘but there’s the rub, that it only will be: Man never is, but always to be blest.’  



  • If another cried out—‘The coffee is coming immediately.’—‘Yes,’ he would retort, ‘and so is the next hour: and, by the way, it’s about that length of time that I have waited for it.’ Then he would collect himself with a stoical air, and say—‘Well, one can die after all: it is but dying; and in the next world, thank God! there is no drinking of coffee, and consequently no—waiting for it.’ Sometimes he would rise from his chair, open the door, and cry out with a feeble querulousness—‘Coffee! coffee!’ And when at length he heard the servant’s step upon the stairs, he would turn round to us, and, as joyfully as ever sailor from the mast-head, he would call out—‘Land, land! my dear friends, I see land.’"
    (Link)
Der Wortlaut des heute verbreiteten Kant-Kaffee-Zitats scheint eine Rückübersetzung von Thomas des Quinceys' englischer Version zu sein.
________
Quellen:
Google
C. A. Ch. Wasianski: "Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Ein Beitrag zur Kenntnis seines Charakters und seines häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgange mit ihm." (1804) In:   "Immanuel Kant. Ein Lebensbild nach Darstellungen der Zeitgenossen Jachmann, Borowski, Wasianski." Hrsg. von Alfons Hoffmann, Hugo Pfeffer, Halle a. S.: 1902, S. 326f. (Link)
Thomas De Quincey: "The Last Days of Immanuel Kant."  1827, eBooks@Adelaide: 2015 (Link)
Immanuel Kant: "Kant’s Gesammelte Schriften",  Akademieausgabe, Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin: 1900ff.  Reimer, ab 1922 de Gruyter; Elektronische Edition: Universität Duisburg 


2010: wachleute.de
2013:  leo.org/forum
(Korr. Fassung)

______
Twitter Thread