Posts mit dem Label Mann H. werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Mann H. werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 25. November 2018

"Auf den Nationalismus berufen sich alle, die menschliches Elend verursachen und ausnützen." Heinrich Heine (angeblich)

Dieser Satz stammt aus Heinrich Manns 1932 erschienenem Essay, "Das  Bekenntnis zum  Übernationalen", und wird heute in den sozialen Medien manchmal irrtümlich Heinrich Heine zugeschrieben:
Zitat von Heinrich Mann, irrtümlich Heinrich Heine zugeschrieben.


Heinrich Mann,  "Das Bekenntnis zum Übernationalen":


"Auf den Nationalismus berufen sich alle, die menschliches Elend verursachen und ausnützen. Er ist die ideelle Rechtfertigung, wenn Menschen in ihre nationalen Grenzen  gepfercht  hungern,  nicht  arbeiten und verwildern.

Er entschuldigt die planlose Unordnung einer Wirtschaft, wie er im Krieg das vollendete Chaos sogar noch verherrlicht. Er steht über dem Hochkapitalismus, dem Militarismus, sie befinden sich  in  moralischer Abhängigkeit von ihm, wären ohne ihn nicht in die Welt getreten, und er war zuerst da.

Ein Gefühl und eine Geistesart waren früher da als die wirklichen Tatsachen, die nationale Idee und Leidenschaft früher als das bewaffnete Volk und das Volk, das dem Industriekapital unterworfen wurde. Wenn dies doch ganz erfaßt würde, das Vorrecht einer Idee!

Heinrich Mann: "Das Bekenntnis zum Übernationalen", 1932 (pdf S. 373)


________
Quellen:
Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 5, 1930 bis Februar 1933. Herausgegeben von Volker Riedel, Aisthesis Verlag: Bielefeld: 2009, S. 373; S. 695 (pdf)

Heinrich Mann:
"Das  Bekenntnis zum Übernationalen", in: Die Neue Rundschau, Berlin, Jg. 43 der Freien Bühne, Band 2, Heft 12, Dezember 1932, S. 721-746.
"Uebernationales  Bekenntnis", in:  Prager  Tagblatt ,  Prag,  Jg.  57,  Nr.  283,  1. Dezember 1932, S. 1 [Teildruck: 371,3-24; 372,10-18; 372,30-373,16;  376,25-39; 381,6-23; 382,28-383,16].
"Das Bekenntnis zum Übernationalen",  Berlin, Wien, Leipzig :  Zsolnay  1933, 47 Seiten. 
"Das Bekenntnis zum Übernationalen",  in:  Heinrich Mann, "Der Haß. Deutsche Zeitgeschichte",  Querido-Verlag, Amsterdam: 1933, S. 9-59.
(Diese Bibliographie der Erstdrucke habe ich Volker Riedel (S. 695) zu verdanken (Link)).

Sonntag, 25. Juni 2017

"In Zeiten universeller Täuschung ist das Aussprechen von Wahrheit ein revolutionärer Akt.“ George Orwell (angeblich)

Pseudo-George-Orwell-Zitat.

Pseudo-George-Orwell-Zitat.
Wie jedes Jahr wurde auch 2017 wieder dem Autor von "1984", der leidenschaftlich für sorgfältigen und wahrheitsgetreuen Journalismus warb, mit fälschlich ihm zugeschriebenen Zitaten zum Geburtstag gratuliert.

32 Jahre nach seinem Tod wird George Orwell dieses Wahrheits-Zitat erstmals unterschoben, fand Garson O'Toole, der Autor der sorgfältig gemachten Webseite Quote Investigator, heraus. Seitdem haben es schon Viele in Orwells Schriften gesucht, aber noch niemand hat es gefunden.

Es ist also nicht wahr, dass Orwell gesagt hat, das Aussprechen der Wahrheit sei ein revolutionärer Akt, auch wenn dieses Zitat unter seinem Namen auf der ganzen Welt verbreitet wird.

Dieses Zitat geht auf Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg, Heinrich Mann und Antonio Gramsci zurück.  


Pseudo-Orwell-Zitat:

  • "In Zeiten, da Täuschung und Lüge allgegenwärtig sind, ist das Aussprechen der Wahrheit ein revolutionärer Akt."
  • "In Zeiten globalen Betrugs gilt es als revolutionäre Tat, wenn man die Wahrheit sagt." 
  • "In Zeiten universeller Täuschung ist das Aussprechen von Wahrheit ein revolutionärer Akt."
  • "In einer Zeit des Universalbetrugs ist die Wahrheit zu sagen eine revolutionäre Tat."
  • "In a time of universal deceit — telling the truth is a revolutionary act."
  • "During times of universal deceit, telling the truth becomes a revolutionary act."
  • "Speaking the truth in times of universal deceit is a revolutionary act."

Dass das Aussprechen der Wahrheit eine revolutionäre Tat oder ein revolutionärer Akt ist, haben Rosa Luxemburg, Heinrich Mann und Antonio Gramcsi geschrieben, aber nicht George Orwell.

Ferdinand Lassalle, Rosa Luxemburg und Antonio Gramsci

Die Erkenntnis, dass das Aussprechen der Wahrheit, also "dessen, was ist", jeder erfolgreichen Politik vorausgehen muss, geht auf den Gründer der deutschen Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle, zurück.

Rosa Luxemburg erinnert 1906 daran:
  • "Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer 'das laut zu sagen, was ist'. "
    Rosa Luxemburg, 1906 (Link)

1813, Fichte
  • "Bonaparte, der es liebt, auszusprechen, was ist, hat es gethan, und würde fortgefahren haben, es zu thun."
    Johann Gottlieb Fichte: "Politische Fragmente", 1813 (Link)
1862, Lassalle
  • "Dies ist die Macht des Aussprechens dessen, was ist. Es ist das gewaltigste politische Mittel! Fichte constatirt in seinen Werken, daß »das Aussprechen dessen, was ist,« ein Lieblingsmittel des alten Napoleon gewesen, und in der That hat er ihm einen großen Theil seiner Erfolge verdankt. Alle große politische Action besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist."
    Ferdinand Lassalle: "Was nun?" Zweiter Vortrag über Verfassungswesen.  (1862) Meyer u. Zeller, Zürich: 1863, S. 35 (Link)
 1906, Luxemburg
"Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer »das laut zu sagen, was ist«."
Rosa Luxemburg: "In revolutionärer Stunde: Was weiter?" (1906) (Link); polnische Erstausgabe: "Z doby rewolucyjnej: Co dalej?" (Link)
1919 , Gramsci

  • "To tell the truth, to arrive together at the truth, is a communist and revolutionary act."
    Antonio Gramsci und Palmiro Togliatti,  L’Ordine Nuovo, 21 June 1919, Vol. 1, No. 7.
--

Karl Georg von Raumer


1819
  • "Jede keimende Wahrheit ist revolutionär gegen den entgegenstehenden herrschenden Irrthum, jede keimende Tugend revolutionär gegen das im Schwange gehende, ihr widersprechende Laster."
    Karl Georg von Raumer: "Das Turnen und der Staat. Georg, Otto" in: "Vermischte Schriften." G. Reimer, Berlin: 1819, S. 102 (Link)
     
 

Heinrich Mann

1915
  • "So tat er den nächsten, - und der war revolutionär, das Aussprechen der Wahrheit, die viele kannten und die niemand zu nennen wagte, das Aussprechen mit aller Gefahr für ihn selbst und für das Land. Das Blatt hieß L'Aurore ..."
    Heinrich Mann: "
    Émile Zola" (1915), Insel Verlag, Frankfurt am Main: 1962 (Link)

 ___________
Quellen:
Johann Gottlieb Fichte: Politische Fragmente, B. "Aus dem Entwurfe einer politischen Schrift aus dem Jahre 1813", in: Johann Gottlieb Fichte's sämmtliche Werke. Band 7 Dritte Abteilung. Populärphilosophische Schriften. 2. Band: Zur Politik, Moral und Philosophie der Geschichte. Herausgegeben von J. H. Fichte, Verlag von Veith und Comp., Berlin: 1846, S. 571 (Link)
Rosa Luxemburg: "Z doby rewolucyjnej: Co dalej?", Wydawnictwo "Czerwonego Sztandaru", 1905 (Link)
Rosa Luxemburg: "In revolutionärer Stunde: Was weiter?", Übersetzung: Hildegard Bamberger, Elisabeth Piwka, Dr. R. Jeske, Gesammelte Werke. 1906 bis Juni 1911. Band 2, Dietz, Berlin: 1972, S. 38  (Link)
Ferdinand Lassale: "Was nun?" Zweiter Vortrag über Verfassungswesen. Meyer & Zeller,  Zürich: 1863, S. 35 (Link); Ferdinand Lassalle hielt diesen Vortrag erstmals am 17. November 1862 im Mundtschen Saal in der Köpenickerstraße 100 in Berlin-Kreuzberg (Link),
Garson O'Toole (Quote Investigator): "In a Time of Universal Deceit — Telling the Truth Is a Revolutionary Act. George Orwell? V. G. Venturini? David Hoffman? Charlotte Despard? Antonio Gramsci? Anonymous? Apocryphal?" 2013 (Link)
Wikiquote Talk (Mit Hinweis auf Raumer.)
Karl Georg von Raumer: "Das Turnen und der Staat. Georg, Otto" in: "Vermischte Schriften." G. Reimer, Berlin: 1819, S. 102 (Google Books) 
Heinrich Mann: "Émile Zola" (1915), Insel Verlag, Frankfurt am Main: 1962 (Link)
 Wikiquote
 _______
Dank: 
Ich danke den Rechercheuren von Wikiquote sowie Garson O'Toole und besonders Basso Continuo für seinen Fund des Napoleon-Zitats von Johann Gottlieb Fichte.

Letzte Änderung: 26. Juni 2018