Posts mit dem Label Mahler werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Mahler werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 10. Juni 2017

"Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Gustav Mahler (angeblich)

Dieses Zitat stammt nicht von Gustav Mahler, obwohl es millionenfach so von fast allen Zeitungen der Welt verbreitet wird: "Irrwege einer Metapher", Wiener Zeitung, 10. Juni 2017 (Link).

Geboren wurde diese schöne Metapher am 21. Januar 1910 im französischen Parlament. Der Sozialist Jean Jaurès antwortet konservativen Abgeordneten mit dieser beeindruckenden Rede:

  •  "Herr Barrès fordert uns öfter auf, in die Vergangenheit zurückzugehen; für die, die nicht mehr sind und die, die zur Unbeweglichkeit erstarrt, gleichsam heilig geworden sind, hegt er eine Art pietätvolle Verehrung. Nun, meine Herren, auch wir verehren die Vergangenheit. Aber man ehrt und achtet sie nicht wirklich, indem man sich zu den verloschenen Jahrhunderten zurückwendet und eine lange Kette von Phantomen betrachtet: die richtige Art, die Vergangenheit zu betrachten, ist, das Werk der lebendigen Kräfte, die in der Vergangenheit gewirkt haben, in die Zukunft weiterzuführen.

    Alle, die in den entschwundenen Jahrhunderten gekämpft haben, welcher Partei, welcher Richtung sie auch angehört haben mögen, waren durch die unbesiegbare Macht des Lebens Kräfte der Bewegung, des Antriebes, der Verwandlung; sie waren es schon allein dadurch, dass sie Menschen waren, die dachten, wünschten, litten - und einen Ausweg suchten: alle waren es, selbst die, die in den damaligen Kämpfen als konservativ erscheinen mochten.
    Und wir nehmen dieses Beben, diese Schauern, diese Bewegung in uns auf, wir tragen die Vergangenheit treu in uns, so wie der Fluß die Quelle treu in sich trägt, indem er zum Meere strömt.

    Jawohl, meine Herren, auch wir verehren die Vergangenheit. Nicht vergeblich hat die Flamme im Herd so vieler menschlicher Generationen gebrannt und gefunkelt; aber wir, die wir nicht stillstehen, die wir für ein neues Ideal kämpfen, wir sind die wahren Erben der Herde unserer Vorfahren: wir haben daraus ihre Flamme geholt, ihr habt nur die Asche bewahrt."
    Jean Jaurès, 21. Januar 1910, Paris, Parlament; nach einer Übersetzung von

    Grete Helfgott.
 Diese Metapher wird später in diversen Variationen Thomas Morus, Benjamin Franklin, einem "alten griechischen Philosophen", Friedrich dem Großen, Johannes XXIII., Ricarda Huch, Jean Juares und auf der ganzen Welt am erfolgreichsten Gustav Mahler zugeschrieben. Die Metapher von Asche und Feuer ist aber weder in den Schriften von Thomas Morus noch in denen von Gustav Mahler und all den anderen zu finden. Diese Zuschreibungen sind also alles Falschzitate, solange keine seriöse Quelle für eine dieser Zuschreibungen bekannt gemacht wird.

Ein Beispiel für die vielen falschen Zuschreibungen ist auf der rechtsextremen Seite "Metapedia" zu bestaunen. Man gibt sich auf dieser Seite besonders traditionsbewusst, aber unter ihrem Stichwort "Tradition" stehen fast ausschließlich erfundene Zitate: das ist unfreiwillig komisch.
Pseudo-Mahler, Pseudo-Franklin, Pseudo-Huch, and Pseudo-Johannes XXIII. quotes.


Erstmals Gustav Mahler zugeschrieben wurde dieses Zitat anscheinend im Jahr 1992, ungefähr 80 Jahre nach seinem Tod, als der Burgtheater-Direktor Klaus Bachler in einem Interview (Link) meinte, Gustav Mahler habe gesagt: "Tradition ist Weitergabe des Feuers ohne Anbetung der Asche."
  
Variationen
  • Gustav Mahler:  "Tradition ist Weitergabe des Feuers ohne Anbetung der Asche."
  • Gustav Mahler: "Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche."
  •  Gustav Mahler: "Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers." (Abiturrahmenthema 2011)
  • Gustav Mahler: "Tradition ist Bewahrung des Feuers, nicht Anbetung der Asche."
  • Gustav Mahler: "Tradition heißt nicht, Asche verwahren, sondern eine Flamme am Brennen halten."
  • Gustav Mahler: "Tradition is the spreading of fire and not the veneration of ashes." 
  • Gustav Mahler : "Tradition is not the worship of ashes, but the preservation of fire."
  • Gustav Mahler: "Non ricordare le ceneri, ma tenere acceso il fuoco."


In folgenden Variationen wird dieses Zitat Jean Jaurès zugeschrieben: 
  • 1) "nous en avons pris la flamme, vous n'en avez gardé que la cendre."
    2) "wir haben daraus die Flamme geholt, ihr habt nur die Asche behalten." 
    3) "wir haben dem Herd die Flamme entnommen, ihr habt nur seine Asche aufbewahrt."
    4) "Tradition heißt nicht, die Asche zu verwahren, sondern die Glut wieder zum Lodern zu bringen."
    5) "Tradition is not guarding the ashes, but stirring up the flames."
    6) "Take from the altar of the past the fire, not the ashes.”  
    7) "Wir wollen aus der Vergangenheit das Feuer übernehmen, nicht die Asche."
    8) "Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme."
      (DUDEN)
    9) "Tradition heißt nicht, die Asche bewahren; Tradition heißt, die Flamme weitergeben." 
    10) "Tradition heißt nicht, Asche verwahren, sondern eine Flamme am Brennen erhalten."

         (Maucher und Malik, deutsch) 
    11) "Being conservative doesn't mean keeping the ashes but preserving the flame."
         (Maucher und Malik, englisch) (Link)
_________
Anmerkung
 (Artikel in Arbeit.)
Der sozialdemokratische Politiker Jean Jaurès (*1859 +1914) hat als junger Mann mit der Dissertation: "Über die Realität der Sinnenwelt", die er 1902 neu auflegen ließ, promoviert und philosophische Fragen fesseln ihn sein Leben lang; er nimmt Religionen so ernst wie Atheisten und Agnostiker: Er hat Ehrfurcht vor dem Lebendigen und den Naturkräften, liebt viele ihrer Erscheinungen und der Wunsch nach Gerechtigkeit gehört zum Fundament seiner Politik; wer will, kann ihn mit guten Gründen in die philosophiegeschichtliche Schublade zu den Pantheisten einsortieren. Jean Jaurès' philosophische Absicht: Synthesen von entgegengesetzten philosophischen Positionen zu bilden, setzt er in seiner politischen Arbeit fort. Wie Victor Adler in Österreich gelingt es ihm in Frankreich, unterschiedliche linke Strömungen zu vereinen und eine sozialdemokratische Partei zu bilden. Auch als Historiker versucht er marxistischen Determinismus mit idealistischen Positionen zu versöhnen.
Am 30. Juli 1914 wird der Kriegsgegner Jean Jaurès, der im Ruf steht, ein Freund Deutschlands zu sein, von einem 29-jährigen Rechtsextremen in dem Pariser Café du Croissant ermordet. Der Mörder wird nach fünf Jahren Untersuchungshaft wegen Unzurechnungsfähigkeit mit fadenscheinigen Argumenten freigesprochen.
 ________
Quellen:
"Jean Jaurès. Aus seinen Reden und Schriften." Große Gestalten des Sozialismus. II. Band.  Eingeleitet und ausgewählt von Louis Lévy. Übersetzt von Grete Helfgott. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, Wien: (1949)
Jean Jaurès: "Discours et conférences." Flammarion, Paris: 2014:
"Oui, nous avons, nous aussi, le culte du passé. Ce n'est pas en vain que tous les foyers des générations humaines ont flambé, ont rayonné ; mais c'est nous, parce que nous marchons, parce que nous luttons pour un idéal nouveau, c'est nous qui sommes les vrais héritiers du foyer des aïeux ; nous en avons pris la flamme, vous n'en avez gardé que la cendre."
Jean Jaurès, 21. Januar 1910, Paris, Chambre des députés (Link) 
J. Hampden Jackson: "Jean Jaurès. Sein Leben und Werk." Übersetzt von Bruno Schönlank. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg: 1949"Jean Jaurès. Seiner Ermordung vor dem Schwurgericht in Paris." Mit einer Einleitung von Dr. Arthur Dieseldorff und einem Geleitwort von Hellm. von Gerlach. Verlag "Friede durch Recht", Ludwigsburg: 1922
Heinz Abosch: "Jean Jaurès. Die vergebliche Hoffnung." Piper, München / Zürich: 1986
Helmut Maucher, Fredmund Malik und Farsam Farschtschian. "Maucher and Malik on Management: Maxims of Corporate Management - Best of Helmut Maucher´s Speeches, Essays and Interviews." Übersetzt von  Myrna Lesniak. Campus Verlag, Frankfurt / New York: 2013 (Link) 
Urs Brand: "Jean Jaurès. Internationalist und Patriot." Musterschmidt, Göttingen / Zürich / Frankfurt: 1973


________
Ich danke Lisi Moosmann, Renate Stark-Voit und Lucile Dreidemy für ihre Anworten und Hinweise.

Mittwoch, 5. April 2017

"Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles zehn Jahre später." Karl Kraus (angeblich)

Pseudo-Gustav-Mahler-Zitat.

Dieser alte Berliner Witz wird irrtümlich Karl Kraus, Gustav Mahler und in einigen Varianten auch Bismarck, Hegel, Heinrich Heine, Abraham Lincoln und Mark Twain zugeschrieben.


1837 

  • "Was wirst Du machen, wenn die Welt untergeht?" - "Da gehe ich nach Königsberg, da kommt Alles 50 Jahre später!"
    Berliner Witz, 1837
    In: Neue Zeitschrift für Musik, Mainz, 12. Dezember 1837, Anno



Neue Zeitschrift für Musik, Mainz, 12. Dezember 1837, S. 188 Anno


Varianten: 


1) "Wenn die Welt untergeht, sollte man nach Mecklenburg gehen, da passiert alles 100 Jahre später."  Bismarck (angeblich)

2) "Beim Weltuntergang nach Rügen fahren. Denn auf Rügen geschehe alles 100 Jahre später."
Otto von Bismarck (angeblich)

3) "Wenn die Welt untergeht, sollte man ins Waldviertel reisen. Dort passiert alles erst 30 Jahre später. (Altniederösterreichische Weisheit, (angeblich))

4) "Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 100 Jahre später." 
Abraham Lincoln (angeblich)

Pseudo-Gustav-Mahler-Zitat.

5) "Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 50 Jahre später."
Gustav Mahler (angeblich)

6) "Wenn die Welt untergeht, ziehe ich nach Wien; dort passiert alles 20 Jahre später." 
Gustav Mahler (angeblich)

7) "Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles zehn Jahre später."
   Karl Kraus (angeblich)

  • "A seniour citizen of Lousiana was overheard saying: 'When the end of the world comes, I hope to be in Louisiana.' When asked why, he replied, 'I'd rather be in Louisiana 'cause everythang happens in Louisiana 20 years later than in the rest of the world'." (Link)
 
  • "Regarding the year 2000, a senior at University of Vermont was overheard saying "when the end of the world comes, I hope to be in "Vermont." When asked why, he stated that everything happens here 20 years later than the rest of the civilized world." (Link)
  • "'When the end of the world comes, I want to be in Cincinnati. Everything happens 10 years later there.' Attributed to Mark Twain" (Link)
  • "Wasn't it Heine who once said that if the end of the world was nigh, he would immediately emigrate to Holland because everything happens 50 years later there?"   (Link)
  •  "At the end of the world, go to Bukhara,” the Druse once seriously advised him. “Everything happens fifty years later there." (Link)
  •  As Hegel put it: "If the end of the world is imminent go to the Netherlands: everything happens there 50 years later!" (Link)

  • "In the nineteenth century the German poet Heinrich Heine remarked that if the end of the world were announced he would go to Holland because everything happens fifty years later there." (Link)
  • "Many citizens in the south of the GDR during the Wende seemed to believe in Bismarck's alleged dictum: 'If the end of the world is nigh, I'll go to Mecklenburg WestPomerania, for everything happens there 100 years later than elsewhere."  (Link)
  • "'When the end of the world comes, I shall go to Mecklenburg because there everything happens a hundred years later.' Otto von Bismarck" (Link) 
_________
Quelle:
Google
Neue Zeitschrift für Musik,  7. Band, Nr. 47, Mainz: 12. Dezember 1837,  S. 188 Anno

Artikel in Arbeit.
23/3 2020