Samstag, 30. Mai 2020

"Über Plagiate sollte man sich nicht ärgern. Sie sind wahrscheinlich die aufrichtigsten aller Komplimente." Theodor Fontane (angeblich)

Dieser Aphorismus wird Theodor Fontane seit 1976 - immer ohne Quellenangabe - zugeschrieben und ist in seinen Schriften und Briefen nicht zu finden, wie mir auch der Literaturwissenschaftler Klaus-Peter Möller vom Theodor-Fontane-Archiv in Potsdam per E-Mail bestätigt hat.

Der Aphorismus ist also ein beliebtes Kuckuckszitat und könnte sich aus einem Ausspruch Mark Twains entwickelt haben, in dem er das Plagiat als das "allerhöchste Kompliment", das ein Autor bekommen kann, bezeichnet:
 

Mark Twain, 1890:


  • "I laugh every time I hear the idiots jackassing in a charge of plagiarism against somebody or other.
    Why, to repeat another man’s thoughts is to pay him the highest compliment you can. It shows what a grip his mind has taken on yours. I never charge any one with plagiarism, for to do so would prove me incapable of gratitude for the highest compliment a man can pay me."
  •  "Ich lache jedes Mal, wenn ich höre, wie sich Idioten mit einer Plagiatsklage gegen den einen oder anderen zum Narren machen."

    Warum? Die Gedanken eines anderen Mannes zu wiederholen ist das höchste Kompliment, das du ihm machen kannst. Es zeigt, welchen Einfluss sein Geist auf deinen hat. Ich beschuldige niemanden des Plagiats, denn dies würde nur meine Unfähigkeit beweisen, mich für das höchste Kompliment, das man mir machen kann, zu bedanken. "

    Mark Twain, Interview, in: The New York World, 12. Januar 1890, S. 14: "Mark Twain’ at Home."  (zitiert nach daybyday.marktwainstudies.com); google.books

In den folgenden Jahrzehnten interpretieren auch andere Autoren (ohne Hinweis auf Mark Twain) manchmal Plagiate als Komplimente.

Theodor Fontane wurde das Zitat vielleicht auch deswegen unterschoben, weil ihm Plagiate aus  seinen Werken sowie Quellenangaben gleichgültig waren; wenigstens behauptete er das in einem Brief, nachdem ihm ein Seedorfer Pfarrer Plagiate vorgeworfen hatte:

Theodor Fontane:

  • "Ich gehe davon aus: was gedruckt ist, ist ein gedeckter Tisch, wo jeder zulangen kann und je mehr, desto besser; auch die so viel betonte Namensnennung oder Quellenangabe ist mir gleichgültig."

    Theodor Fontane*) (Link)

Wer und aus welchem Motiv 1976 im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel zum ersten Mal das Zitat Theodor Fontane zugeschrieben hat, ist unbekannt.



Artikel in Arbeit.

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Anmerkung:
*) Bibliographische Angaben folgen.
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Quellen:
Google
Twitter
wikiquote - Diskussion 
E-Mail von Klaus-Peter Möller, Theodor-Fontane-Archiv, Universität Potsdam vom 28. Mai 2020 ("Das Plagiat-Zitat ist mit Sicherheit nicht von Fontane.")
www.fontanearchiv.de
Mark Twain, Interview, in: The New York World, 12. Januar 1890, S. 14: "Mark Twain’ at Home."  (zitiert nach daybyday.marktwainstudies.com); google.books
brainpickings.org/2012/05/10/mark-twain-helen-keller-plagiarism-originality/
Klaus Graf: "Plagiat: Ein Journalist der Schweizer «Weltwoche» hat einen Artikel zum Teil Wort für Wort aus einer britischen Zeitung abgeschrieben", 2015  /archivalia.hypotheses.org/1379

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Theodor Fontane:
1976: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 1976 books.google
2003 Deutscher Bundestag (Link)


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Dank:
Ich danke Klaus-Peter Möller vom Theodor-Fontane-Archiv  (www.fontanearchiv.de) für die Auskunft und den Hinweis auf den hier zitierten Brief Theodor Fontanes sowie Klaus Graf für eine Korrektur. Für die Übersetzungsberatung für das Wort "jackassing" danke ich: Heinrich Steininger, Daniel Tietze, Justus Radmacher, Dr. Philoponus und Peter Winslow.


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PS.

1905: Henry Adams   books.google
1906: die beglaubigte zeitgenössische oder wenig jüngere Literatur auf Bestätigungen, Zitate, Plagiate durchzuseben -— eine zeitraubende, aber oft erfolgreiche Aufgabe, weil der Chinese gern zitiert und das Plagiat geradezu als ein Kompliment für Autor und Plagiator betrachtet.

 1966: Jede Form des Zitats konnte in der Antike ein Kompliment sein  books.google.