Donnerstag, 15. November 2007

"Sah ein Knab' ein Höslein weh'n, - Höslein unter'm Kleide!" Karl Kraus (angeblich)

Die Nachrichtenseite ka-news.de Karlsruhe brachte unter der Überschrift "Haralds Hörstunde" und "Das Seidenhöslein" folgende Meldung:


Unter dem Titel "Das Seidenhöslein" stellt Harald Schwiers in seiner "Hörstunde" am Donnerstag, 1. November, Parodie gegen Original. Seidenhöslein?
Aber ja doch: "Sah ein Knab' ein Höslein weh'n, - Höslein unter'm Kleide!" Das erotische Röslein, einst von Goethe erdacht, war von Karl Kraus. Wer hätte das gedacht...



Mhm. Die Veralberung von Goethes 'Heidenröslein' ist zwar in der 'Fackel' abgedruckt, stammt aber nicht von Karl Kraus, wie jeder wissen könnte, der sich an Karl Kraus' Abscheu vor jeder Verulkung von Goethes Gedichten erinnert:


Weit entsetzlicher ist es, wenn sich die Pranken dieses Untiers an lyrischen Kunstwerken vergreifen, um sie für den Bedarf ihrer Geilheit oder Scherzhaftigkeit »anzuwenden«. In einem der Organe derHurenbelletristik, die es jetzt gibt, hat einer kürzlich die neckische Variante »Sah ein Knab ein Höslein wehn« ersonnen und wirklich durchgeführt, und »Über allen Gipfeln ist Ruh« bleibt nun einmal das Motiv sämtlicher bürgerlichen Berufe, die dem Inhaber Zeit für Allotria lassen.
("Die Fackel", Nr. 686, 1925, S. 20)



Das Seidenhöslein
(Chanson nach Goethe)


Sah ein Knab’ ein Höslein weh’n,
— Höslein unter’m Kleide!
War so weiß und blütenschön,
Knisterte beim Geh’n und Dreh’n,
War von feinster Seide!
Höslein, Höslein, Höslein weiß!
Höslein unter’m Kleide!

Und der Knabe lief hinzu —
— Höslein unter’m Kleide!
Höslein machte leis’: Frou frou!
Sei nur nicht zu schüchtern, du,
Denn ich bin von Seide!
Höslein, Höslein, Höslein weiß!
Höslein unter’m Kleide!
[...]

Autor: unbekannt.
(Nachgedruckt in der 'Fackel' Nr. 697, 1925, S. 66)